Blog Stadtteilschreiber

Die Stadtteilschreiberin und der Stadtteilschreiber im Dialog

STADTTEILSCHREIBER*INNEN UNTER SICH - NICOLE BOLZ UND JÖRG DEGENKOLB-DEGERLI MIT EINEM BLICK ZURÜCK NACH VORNE

N.B.: Sag mal Jörg, Du bist mir ja immer weit voraus. Also, jetzt auch bei der Stadtteilschreiberei hier und kennst die Südstadt und den Hesselnberg ja schon viel besser. Ich habe mich neulich auch mal ein bisschen am Hesselnberg umgesehen (oder sagt man aufm?) und mir scheint es dort mit Leben und Tod ein wenig durcheinander zu gehen. Die Straßen waren wie ausgestorben, kein Mensch weit und breit. Aber da am Unterbarmer Friedhof tobte das Leben. Was ist denn da los?

J.D-D.: Aufm Hesselnberg heißt es ganz richtig. Oder im. Oder am. Oder so. Der stark frequentierte Friedhof hat natürlich mit meiner Pionierarbeit zu tun. Nach einer grandiosen Berichterstattung im vergangenen Jahr (ja, auch die Jahre sind vergänglich) ist die Besucherzahl quasi exponentiell gestiegen. Da können andere Fallzahlen und zum Glück auch Todesfälle gar nicht mithalten.

N.B.: Das leuchtet mir natürlich ein. Du bist eben ein Kerl, dem die Menschen folgen. Selbst zum Friedhof! Aber mal so unter uns: Wenn Du mit Deinen Texten eine solch sogartige Wirkung auf die Hesselnberger hast, warum schreibst Du dann nicht einfach über belebte Straßen, kleine Läden und Cafés, fröhliche Nachbarn und ein einzigartiges Lebensgefühl dort? Das wäre ja für Deine Leser ein Erweckungserlebnis. Ich sehe schon vor mir, wie sie nach Lesen des letzten Buchstabens deines elektrisierenden Textes hinaus ins Viertel strömen, um Deine Vision wahr werden zu lassen. Zack - Wuppertals tollster Stadtteil. Und dann wird sicher eine Straße nach Dir benannt. „Am DoppelD" vielleicht.

J.D-D.: Dein gutgemeinter Vorschlag zeigt mal zunächst, dass Du meine Stadtteilschreiberei bislang nicht gründlich gelesen hast. Und abgesehen von diesem Friedhofs-Erfolg kämpfe ich ansonsten Don Quijote gleich seit anderthalb Jahren für eben dies - jedoch sind die Quartiere Windmühlen nicht unähnlich. Und wenn jetzt ausgerechnet jemand wegen mir ein Erweckungserlebnis haben sollte, dann würde DAS mich, den schwurbelresistenten Klardenker, in eine schwere Krise führen. All das nur am Rande. Lass uns mal den Gedanken mit der nach mir benannten Straße vertiefen. Der gefällt mir ausgesprochen gut. Wo könnte so eine Straße sein?

N.B.: Das kommt darauf an, als was Du Deine Einzigartigkeit definieren willst. Ist DoppelD eine eigene Spezies zwischen Dachsweg und Iltisstraße? Oder eine Lichtgestalt dicht an Christbusch oder Ritterstraße? Oder orientierst Du Dich bei der Lage an den Institutionen, Läden und Kneipen, die Dich umkreisen? Dann könnte ein würdiger Ort das Hesselnberg'sche Bermudadreieck sein: Zwischen Müllmuseum, Schalander und Döner-Imbiss. DoppelD – immer mitten im Geschehen, der Inbegriff der Amüsiermeile, Nahrung für Leib und Seele, quasi der Döner mit alles.

J.D-D.: Ich nehme die Lichtgestalt. Aber im Bermudadreieck. Da würde ich gerne mal wieder ein bisschen was wegschalandern. Aber die Frage ist, inwieweit kleine Läden in Zeiten der Pandemie überhaupt noch überlebensfähig sind. Während des ersten Shutdowns wäre beinahe die Gaststätte Schlupp in die Knie gegangen. Die Metzgerei Uhlemeyer, auch in der Südstadt, hat mittlerweile geschlossen - wenn auch nicht unbedingt aus Corona-Gründen. Aber wir sind doch im Auftrag der Stadtteilentwicklung unterwegs; im Moment sieht aber alles nach einer deutlichen Zäsur aus, oder? Ich frage mich, ob überhaupt noch Bestehendes weiterentwickelt werden kann oder ob wir nicht nach der Pandemie bei Null anfangen. Und dass die Menschen vor dem Hintergrund des gemeinsamen Schicksals näher zusammenrücken, ist wohl auch vom Tisch. Quo vadis, Quartiersarbeit?

N.B.: Okay, schieben wir die Frotzeleien mal beiseite und werden ernst. Bei meinen Gesprächen zwischen Südstadt und Hesselnberg habe ich sehr viel Engagement erlebt. Menschen, die gegen die Einsamkeit und Isolation im Stadtteil kämpfen und Angebote machen, um vor allem älteren und einsamen Menschen dort eine Anlaufstelle zu bieten. Alle haben mir erzählt, dass dies ein großes Problem sei. Seit Corona liegt all das auf Eis. Vielmehr hat diese Pandemie die Probleme verschärft, keine Kontakte mehr, die Isolation ist jetzt sogar gewünscht, die eigentlichen Helfer hilflos. Und es ist wie Du schreibst, die wenigen kleinen Geschäfte und Kneipen haben schon kapituliert oder stehen kurz davor. Dann verlieren die Quartiere wirklich ihre letzten Treffpunkte. Rückschritt statt Entwicklung. Ob das eine wirklich Chance sein kann, ich kann es nicht beurteilen. Aber wenn Du als Lichtgestalt in die Annalen des Hesselnbergs oder der Südstadt eingehen und Deinen Namen auf Straßenschildern sehen willst, dann solltest Du vielleicht darüber nachdenken, ob Du selbst ein Café oder einen Laden dort aufmachen willst. Du könntest die Menschen mit Geschichten aufheitern oder ein leckeres „Müllkrüstchen" anbieten (siehe Foto Speisekarte). Hauptsache es wärmt. Ich wäre dabei ...

J.D-D.: Oh nein, ich bleib beim Schreiben. Damit geh ich auch in die Quartiersannalen ein! Kleiner Werbeblock: Anfang Dezember ist mein Buch „Stadtteilgeschichten - Menschen, Orte und Ereignisse am Hesselnberg und in der Südstadt" erschienen. BÄM! Buchvorstellung und Lesung auf stew.one mussten verschoben werden – rat mal, warum. Wird aber nachgeholt. BÄM! Übrigens gemeinsam mit dem Autorenteam Christiane Gibiec und Arno Mersmann, die dann auch ihr Buch „Der Hesselnberg - Leben und Kultur im Mittelpunkt Wuppertals" präsentieren. BÄM! (Werbeblock Ende) Und jetzt kommst Du!

N.B.: Ja dann gratuliere ich natürlich aufs Herzlichste, woll! Da ist Dir ein Ehrenplatz in den Vierteln ja sicher und Du kannst Dich nun auf diesen Lorbeeren ausruhen. Ich denke noch ein wenig über die Laden-Idee nach. Und überlege, wie es weitergehen kann. Vielleicht sollten wir Stadtteilschreiber auch krasser werden, als Stadtteilsprecher open air performen und noch eine Zeitung an den Start bringen? So richtig zum Anfassen und Fisch einwickeln. Was meinst Du?

J.D-D.: „KRASSER im Quartier" - was für ein göttlicher Zeitungsname! Komm, los, wir gehen Fördermittel beantragen!

N.B.: Machen wir. Aber vorher wünschen wir - und das gesamte Team der DemokratieWerkstatt - allen Leserinnen und Lesern des Stadtteilschreiber-Blogs, allen Südstädterinnen und Südststädtern und Hesselnbergerinnen und Hesselnbergern, ach komm – allen Wuppertalerinnen und Wuppertalern – besinnliche, friedliche und vor allem glückliche Weihnachten. Bleiben Sie zuversichtlich trotz dieser schwierigen Zeiten. All denen, die sich allein und ungesehen fühlen, sei versichert: Es kommen auch wieder bessere Tage, wärmer und geselliger. Und im Januar lesen wir uns wieder, versprochen!

Die besseren Hälften - Stadtteilschreiber*in Nicole Bolz und Jörg Degenkolb-Degerli

Müllkrüstchen? Keine Sorge, der Name ist zum Glück nicht den Zutaten, sondern dem dazugehörigen Restaurant geschuldet, dem Müllmuseum. Doch während diese leicht fleischlastige Speisenkarte noch an der Haspeler Schulstraße zu sehen ist, hat das legendäre Restaurant seine Türen offenbar geschlossen.

Fotos: Nicole Bolz; privat

Nicole Bolz - Journalistin, Wuppertalerin. Immer neugierig, oft kritisch. Fragemonster und Buchstabendompteuse. Anzutreffen bergauf und bergab im schönsten Tal an der Wupper.

Jörg Degenkolb-Değerli – Autor, Moderator und Bühnenliterat. Mit eigenartigen Einzeilern und pointierter Poetry bewegt er sich meist im Spannungsfeld zwischen „schreiend komisch" und „bitterernst". Eben Texte für Zwerchfell, Herz, Hirn und das Quartier.


Das Projekt "Stadtteilschreiber" wird

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Veröffentlicht am 18.12.2020

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