Falsches Mitleid (vorgegebener Anfangssatz)

Eigentlich wollte ich gar nicht aufmachen, als es klingelte. Dann sah ich durch die Glasscheibe der Haustüre, dass dort niemand stand, sondern jemand saß. Auf einem Stuhl mit großen Rädern an jeder Seite.

Ich fluchte. Nicht schon wieder! Eben hatte mich bereits der Amazonbote in meiner Arbeit gestört, um ein Paket für die Nachbarn abzugeben. Die konnten auch den Hals nicht voll bekommen von all dem Plunder, den es online zu bestellen gab. Ich saß an einem schwierigen Text, den ich bis morgen fertigstellen musste. Jetzt riss mich das Klingeln schon wieder aus meiner Konzentration. Mein Blick wanderte vom Bildschirm zur Haustür. Keine Frage, wer das war und warum sie klingelte! Die Silhouette des Rollstuhls zeichnete sich vorwurfsvoll an der sandstrahlmatten Scheibe ab. Ein dünner Arm bewegte sich nach oben, es klingelte abermals. Sollte ich das Klingeln einfach ignorieren? Nichts deutete darauf hin, dass jemand zu Hause war. Ich hätte es ja auch einfach nicht gehört haben können.

Wow, echt weitherzig“, bemerkte mein schlechtes Gewissen bissig. Ein unwohles Gefühl stieg in mir auf. „Komm, nun geh schon zur Tür. Aus dem Konzept bist du ja ohnehin.“ Langsam schob ich den Schreibtischstuhl zurück, um aufzustehen. Aber nein! Kein falsches Mitleid! Ich hatte mir fest vorgenommen, ihr nicht mehr zu öffnen. „Wenn ich jetzt nicht hart bleibe, geht es immer so weiter. Sie nutzt dich einfach schamlos aus. Ihr ist es egal, wenn sie dich stört“, ätzte mein Ego zurück. „Soll sie doch sehen, wie sie klar kommt.“

Unentschlossen rückte ich auf meinem Stuhl hin und her. Da hörte ich, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte. Die Haustür schwang auf. Gina rollte lässig in den Hausflur und flötete: „Sorry Mama! Hab ihn doch gefunden.“ 

Teenager sind echt anstrengend.