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Anette Stechert: Hand aufs Herz

In der Schreibwerkstatt entstandene Texte



Hand aufs Herz

Als sie nach Hause kam, stand ihre Mutter mit geröteten Wangen am Herd.

„Na?“, wandte sie sich um. „Wie war's bei Suzanne? Hattet ihr Spaß?“

„Ja, war ganz nett“, nuschelte Annik und spähte in den Topf, in dem eine Suppe köchelte.

Ihre Mutter strich ihr über die Wange. „Ich freue mich, dass ihr beide so gute Freundinnen seid. Suzanne ist ein nettes Mädchen.“

„Mmmh“, machte Annik und nahm sich einen Apfel aus der Schale auf dem Küchentisch.

„Ich geh' mal nach oben“, sagte sie.

„Ok, aber in zehn Minuten gibt es Essen.“

In ihrem Zimmer warf sich Annik aufs Bett. Sie starrte an die Decke. Nach einer Weile rollte sie sich auf die Seite und zog ihr Handy aus der Hosentasche.

Eine Nachricht von Suzanne. „Wie geht es dir?“ Smiley.

Annik spürte, wie sie errötete.  War das wirklich geschehen letzte Nacht?

Sie hatten zusammen einen Film gesehen, dabei Popcorn gegessen und sich über die Darsteller lustig gemacht – so wie meistens. Danach hatten sie noch etwas Musik gehört, bis Suzannes Mutter den Kopf durch die Tür steckte und freundlich aber bestimmt sagte: „So, jetzt ist aber Schluss für heute.“

Mitten in der Nacht erwachte Annik von lautem Gemurmel neben ihr. Sie knipste das Licht an.

Suzanne wälzte sich unruhig hin und her.

Annik berührte sie an der Schulter. „Heh, Suzanne. Wach auf!“

Die Freundin öffnete die Augen und blinzelte.

„Oh, entschuldige. Habe ich geschrien?“

 „Nein, nein,“ sagte Annik „nur laut gesprochen.“

Suzanne stöhnte. „Ach, das tut mir leid. Dieser blöde Traum. Er kommt immer wieder.“

Sie wäre letztes Jahr in den Ferien beinahe ertrunken, und dieser Vorfall verfolgte sie noch immer.

„Jetzt habe ich dich geweckt“, sagte sie und drehte sich auf den Rücken. „Dieser Scheißtraum. Fühl mal, wie mein Herz klopft“.

Sie nahm Anniks Hand und legte sie auf ihre linke Brust.

Annik erstarrte. Ihre Hand lag wie versteinert da und spürte den schnellen Herzschlag der Freundin.

„ Lass' mich mal deinen spüren.“ Suzanne richtete sich auf. Sie war auf einmal hellwach. Sie legte ihre Hand auf Anniks Brust.

„Da ist ja gar nichts“, sagte sie enttäuscht. „Aber dein Schlafanzug ist ja auch so dick.“ Sie zupfte am Stoff. „Zieh mal aus“.

 Anniks Gedanken rasten.

„Ausziehen?“, krächzte sie.

„Ja, ausziehen.“

Annik zog das Oberteil aus.

„Ja, jetzt fühle ich etwas“. Suzanne lächelte zufrieden und plumpste zurück in ihr Kissen.

„Mach doch bitte das Licht wieder aus.“ Sie gähnte herzhaft und drehte sich auf die andere Seite.

Annik knipste das Licht aus. Im Dunkeln zog sie ihren Pyjama wieder an und die Decke bis unters Kinn. Sie lag wach bis zum Morgengrauen. Erst als die Vögel anfingen zu singen, fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Veröffentlicht am 15.12.2022

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