Blog | Essaywettbewerb - Friedrich Engels

Janina Lara Makowe - eingereicht am 15.4.2020

Warum hast du keine Zukunft?

Akt Eins - Ich habe da ein paar Fragen

Ein einsames Schlafzimmer, Mittags

Helfried Ottokar sitzt auf dem Boden seines mehr oder weniger aufgeräumten Schlafzimmers, Laptop aufgeschlagen. Er überfliegt einige Blogposts seiner Lieblingsseite „RightWingAlphas.com" und isst währenddessen eine sehr maskuline, heimlich von seiner Mutter zubereitete Buchstabensuppe. Helfried bemerkt das Publikum und blickt es durch seine Webkamera an. Er beginnt seinen Monolog, mit einer tiefgründigen These, die eines Philosophen seines Kalibers würdig ist.

Helfried:
Schule ist scheiße.

Mal ganz im Ernst, als Jugendlicher verbringt man dort viel Zeit und die Chance liegt hoch, dass dich eine absolut grauenhafte Serie von schrecklichen Erfahrungen erwartet. Trotzdem sind die meisten Jugendlichen zu blöd, um darüber überhaupt nachzudenken. Die Mädchen haben nicht mehr Probleme als den neuesten Tratsch oder den Schwarm, der sie nicht mag. Vielleicht kriegen sie hin und wieder eine depressive Phase wegen Pickeln. Die Jungs haben nicht mehr in ihrem Kopf als Schwanzwitze und Schwachsinn. Hin und Wieder denkt ein einsamer Nerd auch über seine Noten oder Zukunft nach.

Nun, diese Sorgen erscheinen Erwachsenen oft als dämlich. Berichtet ein Jugendlicher von seinen Problemen, lächeln die legalen Erwachsenen um ihn herum nur und denken nostalgisch an die Tage, an denen sie auch so hoffnungslos naiv waren. Doch Eltern und Autoritätsfiguren vergessen dabei, dass diese Sorgen valide Sorgen sind, kein bedeutungsloser Teenie-Kitsch. Das Selbstwertgefühl von Jugendlichen wird hauptsächlich von der Schule bestimmt, sie haben die Meisten ihrer Freunde dort, ihre Leistungen werden dort verglichen und sie erleben sehr viel zwischenmenschliches Drama. Druck, soziale Zerwürfnisse oder Stress mit einer Autoritätsperson können genug sein, um einen Jugendlichen in ein Stadium der Traurigkeit zu katapultierten, aus dem sie nur schwer entkommen können. Doch tatsächlich machen sich Jugendliche auch über andere Probleme Sorgen, nämlich die, welche ihnen im Unterricht ohne Gnade in die Fresse geschlagen werden.
Man kann kaum einen Schultag überstehen, ohne dass irgendein Hippieerdkundelehrer das Sterben unseres Planeten lamentiert oder einem den Coffe Togo Becher aus der Hand schlägt, ich hasse sie Frau Maier. Jeder Geschichtslehrer, Herr Rosenberg, erwähnt, dass der neuste Aufstieg in Unterstützung rechter Parteien schlecht ist, aber eine Lösung hat keiner. Es fühlt sich oft so an, als versteckten sich diese Lehrer hinter Fachwörtern und verstorbenen Philosophen, in der Hoffnung, dass einer ihrer Schüler diese Welt retten wird. Aber kann man die Welt überhaupt retten? Stimmt etwas nicht mit dem Planeten? Läuft hier etwas falsch?

Die Medien haben dazu eine Menge zu sagen: Wir werden zu dick, zu ungesund, zu langsam, fahren zu viel Auto, verschwenden zu viel Wasser und verpesten die Erde. Die globale Erwärmung existiert und schreitet voran, während die Länder der Welt nicht genug tun und sich hinter irgendeiner Variation des Satzes „Warum immer wir?" verstecken. Flüchtlinge werden nicht aufgenommen, mexikanische Kinder eingesperrt und Kriege angefangen. Es ist eigentlich das gleiche Spiel wie immer, sollte man meinen. Aber in der Welt macht sich...Misstrauen breit.

Das Marktforschungsinstitut „Edelmann Intelligence" veröffentlicht seit nun 20 Jahren das „Edelmann Trust Barometer", welches das Vertrauen der „informierten Bevölkerung" und der „Massenbevölkerung" in verschiedenste Institutionen testet, beispielsweise die Medien, die Regierung des eigenen Landes, NGOs oder die Wirtschaft des eigenen Landes. In Deutschland gaben dreiundzwanzig Prozent der befragten Familien an, dass sie in fünf Jahren besser dran sein werden, als heute. Damit ist Deutschland das drittpessimistischste Land nach Japan und Frankreich! Frankreich, dem Land der Schwarzweißfilme und melancholischer Rauchpausen! Der globale Durschnitt fiel um Prozentpunkte und liegt nun bei 47, was bedeutet, dass weltweit mehr als die Hälfte der Befragten denken, dass ihre Zukunft nichts Besseres für sich und ihre Familie bereithält.

Ist das nicht irgendwie schlecht? Natürlich könnte man sagen, dass eine Mehrheit der Befragten gesagt hat, dass sie keine große Änderung ihrer Situation sehen, was ja nicht unbedingt schlimm sein muss. Aber würde ein optimistischerer Blick auf die Zukunft nicht zeigen, dass die Befragten in die Pläne ihrer Regierung den Zustand der Welt vertrauen? Ist es nicht doch schlecht, dass so viele der Befragten nicht optimistisch in ihre Zukunft blicken? Doch woher kommt dieser Pessimismus? Wer kann diese Frage für mich beantworten? Sollte ich im Internet nach der Lösung suchen? Da gibt es doch diesen Blog, von dem mir ein Klassenkamerad so viel erzählt hat...

Ortswechsel, Ein mittelbeliebter Kommie-Blog im Internet, zeitlos

Auf dem Bildschirm spielt ein Video, auf dem eine Frau zu sehen ist. Sie trägt ein rotes Jackett, natürlich, eine einfache Cordhose und eine Augenklappe. Ihre grün-gefärbten Locken umspielen ihr Gesicht und dank ihres V-Ausschnittes kann man ein farbiges Tattoo auf ihrer Brust erkenne. Sie zieht demonstrativ an ihrer E-Zigarette und bläst den Rauch Richtung Kamera. Dann lächelt sie wohlwissend und beginnt ihren Beitrag.

Tina Rotfuchs:
Hallo meine antikapitalistischen Freunde des Proletariats, meine Kameraden, Genossen und auch die Vertreter und Freunde der Bourgeoise unter euch, hier ist eure Tina mit einem neuen Diskussionsthema in meinem beliebten Blog „die moderne Guillotine der Arbeiterklasse." Ist euer Leben grauenhaft? Sucht ihr für eine Erklärung für euren Pessimismus und die wachsenden Depressionen in eurem Kopf? Fühlt ihr euch immer, als würde euch jemand beobachten? Nun, habt ihr schon einmal bedacht, dass dieser Beobachter...Kapitalismus sein könnte? Nun, laut dem „Edelman Trust Barometer 2020" glauben zumindest fünfundfünfzig Prozent der deutschen Befragten, dass der Kapitalismus mehr schadet, als er hilft! Und natürlich haben sie damit Recht: Mehr als achtzig Prozent der globalen Befragten gaben an, dass sie Angst haben ihre Arbeit zu verlieren, circa sechzig Prozent fürchten, dass sich Technologien zu schnell entwickeln. Wieso sollten sie solche Entwicklungen fürchten, wenn das System auf sie aufpassen würde? Wenn die Menschen Angst haben zurückgelassen zu werden, dann doch nur, weil ihr ökonomisches System und die Regierung nicht genug auf sie achten. Kein Wunder, dass politische Anführer mit religiösen Anführern und den Superreichen zu den Leuten gehören, denen die globale Population am wenigsten vertraut. Wir hier in den marxistischen Headquarters lieben diesen Fortschritt, aber natürlich nur, wenn er in die richtige Richtung gelenkt wird.

Wisst ihr politische-motivierte Straftaten der rechten Seite hatten zwar ihren Höhepunkt 2015 und 2016, das heißt aber nicht, dass sie vorbei oder unwichtig sind. 2018 wurden laut dem BMI immer noch mehr als fünfzig Prozent der politisch-motivierten Straftraten von Menschen mit rechter Ideologie begangen, circa 20.400 Straftaten. Politisch motivierte Gewalttaten sind zwischen 2017 und 2018 auf rechter Seite sogar gestiegen, nur um 2,3% aber immerhin. Hasskriminalität und Angriffe auf Asylunterkünfte sind in diesem Zeitraum gesunken, aber wer weiß, vielleicht sind ihnen einfach Unterkünfte ausgegangen, die sie anzünden können. Tatsächlich begehen viele Menschen noch viele, grauenhafte Taten, aber nur weil sie grauenhaft sind, heißt es nicht, dass wir sie nicht erklären können. Nein, viele dieser, seien wir mal ehrlich, Männer wurden im Internet rekrutiert, sind in irgendein Propagandaloch gefallen, aus dem sie nicht mehr rauskommen. Das Sentiment hinter dieser Taten ist leicht zu erklären: Irgendetwas stimmt nicht. Nur beschuldigen Rechtsextreme nicht die Superreichen, die Firmen oder den Kapitalismus, sondern Minoritäten. Vielleicht weil es leichter ist nach unten zu kicken, als nach oben zu schlagen.

Nun was sollen wir gegen diese Leute tun? Und gibt es nicht noch größere Probleme, die wir lösen müssen? Ist die Lösung Revolution und Nazis kloppen oder gibt es eine gehobener, akademischere Lösung? Wer kann den armen Leuten der Welt nur erklären, warum sie solche Probleme und Ängste haben?

Hellfried (verwirrt antwortend):
Wer zur Hölle ist Friedrich Engels?

Tina Rotfuchs (sich empört umdrehend, antwortend):
Du weißt nicht, wer Engels ist?

Hellfried (noch verwirrter):
Warum antwortete dieser Blogpost auf meine Frage?

Tina Rotfuchs (selbstbewusst):
Weil ich es kann.

Hellfried:
Bitte was?
Tina Rotfuchs (zwinkert):
Kommunistische Superkräfte, Baby, sobald du die Fesseln des kapitalistischen Mindsets abgelegt hast, bist du praktisch Superman. Ich habe über Nacht gelernt fließend Russisch zu sprechen und ich scheiße Hämmer und Sicheln.

Hellfried:
Das hört sich nicht gesund an.

Tina Rotfuchs:
Es härtet für die harten Winter im Heimatland ab. Außerdem hast du gerade zugegeben, dass du Friedrich Engels nicht kennst. Wie? Wie Rosaline? Wie?

Hellfried:
Ich heiße gar nicht... Ist ja auch egal. Ich kenne Friedrich Engels schon, aber was soll mir ein toter Mann mit beeindruckendem Bart aus meinem Geschichtsbuch bitte beibringen?

Tina Rotfuchs:
Engels war nicht nur ein Mann mit einem beeindruckenden Bart. Er war Gesellschaftskritiker, Philosoph, Historiker, Journalist und kommunistischer Revolutionär. Er hat einen Haufen Bücher über den Sozialismus geschrieben und den Kapitalismus kritisiert, häufig mit Karl Marx.

Hellfried (unbeeindruckt):
Wow, noch ein antikapitalistischer Philosoph mit Bart. War Karl Marx die Kopie von Friedrich Engels oder war Friedrich Engels die Kopie von Karl Marx?

Tina Rotfuchs:
Das ist...ugh...Engels war seine eigene Person. Ja, er hat oft mit Marx gearbeitet, aber er widmete sich auch der Anthropologie, Ontologie, Fragen um das Sein...

Hellfried (unbeeindruckt):
Und das soll bedeuten?

Tina Rotfuchs:
Er hat die interessanten Fragen gestellt, die komplizierten. Die Fragen, die dein Ethiklehrer stellt, damit die Klasse eine halbe Stunde sinnlos diskutieren kann. Er war außerdem gegen Kriege-

Hellfried:
Also war er ein Anti-Militär Weichei und ein heulender, sozialistischer Schneeflocken-Philosoph. Außerdem habe ich gelesen, dass er sich sehr von Hegel hat inspirieren lassen und ich hasse Hegel! Hegel ist schwer!

Tina Rotfuchs:
Hegel ist schwer. Aber heutzutage immer noch relevant. Und das ist Engels auch. Denkst du nicht, dass wir sehen sollten, ob Teile seiner Theorien auch heute noch anwendbar sind? Immerhin finden sich in Engels philosophischen Katalog Theorien zur Ideologie, Moral und Geschichte, er hinterfragt Religion, Klasse und den Staat selbst. Oder würdest du behaupten, dass heutzutage niemand diese Institutionen in Frage stellt?

Hellfried:
Du solltest mit deiner übermäßigen Kritik nicht so übertreiben. Immerhin leben wir. Dem Staat geht es gut, wir verdienen noch Geld. Es gibt das Internet, genug zum Essen und Bildung für Alle, warum suchst du nach Problemen, wo keine sind?

Tina Rotfuchs:
Warum glaubst du, dass es hier keine ernsthaften Probleme gibt, nur weil wir nicht in einem Entwicklungsland leben? Die Schere zwischen Arm und Reich wächst trotzdem, der Palma-Index war 2016 auf einen Rekordhochstand gestiegen, der Theil-Index steigt seit 2010 deutlich. Natürlich kann das auch an der starken Zuwanderung der letzten Jahre liegen, aber das heißt nicht, dass Lohnspreizungen, steigende Kapitaleinkommen für die obere Schicht und eine Politik der geschwächten Umverteilung nicht auch etwas damit zu tun haben. Willst du wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Jeff Bezos Multimilliadär sein kann, wenn seine Lagerarbeiter kaum genug Netto verdienen, um ihre Familien zu ernähren?

Hellfried:
Herzlichen Glückwunsch Joker, du lebst in einer Gesellschaft. Kannst du jetzt bitte aufhören darüber zu jammern und einfach härter arbeiten? Immerhin steht Jeff Bezos bestimmt unter mehr Stress als der normale Lagerarbeiter, da verdient er das ganze Geld.

Tina Rotfuchs:
Ich frage mich, ob es wirklich Jobs geben sollte, bei dem man so viel Verantwortung tragen muss, dass man genug Geld verdient, um das BIP einer kleinen Nation zu zahlen, aber das ist wohl eine Diskussion für einen anderen Tag.

Hellfried:
Heul, ich bin eine faule linke Schneeflocke und ich hasse es, dass jemand mehr verdient als ich, heul, heul, gebt mir meinen Safe-Space, andere Meinungen machen mir Angst. Du hast nur Angst vor mir, weil ich Recht habe.

Akt Zwei - Ich habe da ein paar Theorien

Tina Rotfuchs:
Oh nein, du denkst nur du hast Recht. Das ist deine Ideologie, die dir da in dein Ohr flüstert. Du lebst in einem Prozess. „Ein Prozess, der zwar mit Bewusstsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit falschem Bewusstsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt."

Hellfried:
Wat?

Tina Rotfuchs:
Du hast Grundwerte, gehörst vielleicht sogar einer Gruppe mit gleichen Grundwerten an. Ihr habt eure Ideen über die Welt oder den Staat. Hier ein Beispiel: Kommunisten glauben, dass die Privatisierung von Produktionsmittel schlecht ist und zur Ausbeutung führt, deswegen sollte man sie auf den Staat übertragen. Anarchisten hingegen lehnen den Staat komplett ab und glauben, das Übergeben der Produktionsmittel an den Staat führe „lediglich zu einer Diktatur durch den Staat." Und Nationalsozialisten dachten Selbstversorgung ideal, Arier überlegen, Juden schlecht, Auslöschung super, Wirtschaftsprobleme gelöst, yay!

Hellfried:
Du kannst die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten doch nicht einfach so verallgemeinern, ich persönlich finde manche ihrer Aspekte sogar sehr interess-

Tina Rotfuchs:
Oh Hellfried, bitte geh nicht diese Straße entlang, es erwartete dich nicht mehr als leblose blaue Augen und Toxizität. Glaub mir, du findest keine Lösungen in alten, antisemitischen Wirtschaftstheorien.

Hellfried:
Aber in den Theorien längst verstorbener Kommunisten finde ich Lösungen?

Tina Rotfuchs:
Vielleicht nicht direkt, aber du findest definitiv bessere Denkanstöße. Ideologie wird „durch Denken vermittelt und wird auch in letzter Instanz mit Denken begründet." Also denken wir zwei jetzt nach. Ideologien- warum brauchen wir sie? Wie kriegen wir sie? Sind sie gefährlich? Kann ich irgendwie Obama für sie beschuldigen?

Hellfried:
Ha, du benutzt ein längst verstorbenes Meme...

Tina Rotfuchs (ignorierend) :
Engels behauptet mögliche Triebkräfte hinter Ideologien, die wir noch begreifen müssen, sind subjektive Interessen oder die ökonomische Konstellation der Zeit, in der wir leben. Ein Mensch möchte beispielsweise nicht, dass Tiere für das Vergnügen der Menschen leiden. Also wird er vegan, Aktivist, unterstützt Produzenten alternativer Lebensmittel, indem er ihre Lebensmittel kauft oder alle diese Dinge kombiniert. Er tut dies aus subjektivem Interesse.

Hellfried:
Und wenn die französische Königsfamilie in Reichtum lebt und ich und meine Familie verhungern, dann rebelliere ich gegen die ökonomische Konstellation, indem ich ihnen den Kopf abhacke, richtig?

Tina Rotfuchs:
So könnte man es beschreiben, ja. Ich bin der Meinung, dass subjektive Interessen oft aus der ökonomischen Konstellation hervorgehen, wenn vielleicht auch nicht immer. Nicht verhungern wollen ist ein subjektives Interesse, aber das Hunger an sich entsteht aus der gegebenen ökonomischen Konstellation. Folgst du mir?

Hellfried:
Ich denke schon.

Tina Rotfuchs:
So, nun versuchen Philosophen die Gedankengänge hinter diesen Ideologien zu erklären, eine richtige Theorie zu formen. Aber Ideologien basieren immer auf etwas, also basieren auch ihre Begründungen auf etwas. Philosophen beziehen sich auf vorherige Ereignisse oder andere Philosophen, so wie Engels sich von Hegel inspirieren ließ.

Hellfried:
Also ist es wie bei diesen Hollywood-Filmen? Absolut nichts ist neu, es gibt nur noch Fortsetzungen oder Remakes und Originalität wird meistens in die Tonne gekloppt. Für jedes neue, kreative „Knives Out" gibt es fünfzehn neue Marvelfilme.

Tina Rotfuchs:
Schon, obwohl ich argumentieren würde, dass Kunst IMMER eine Nachahmung oder Imitation ist. Dein „Knives Out" kam auch nicht aus dem Nichts, es wurde inspiriert von Agathe Christie oder älteren Filmen wie „Clue." Selbst der erste Star Wars, der ja noch heute als höchst originell beschrieben wird wurde von Flash Gordon und geschichtlichen Ereignissen wie dem Zweiten Weltkrieg inspiriert. Sogar die Malereien in der Steinzeit imitierten Jagdszenen. Nun, wurden diese Kunstwerke aus den subjektiven Interessen der Künstler geschaffen oder wegen der ökonomischen Konstellation? Gibt es heute so viele offensichtliche Imitationen in der Filmwelt, weil Künstler einfach diese Projekte machen wollen oder hat es einen wirtschaftlichen Hintergrund? Engels jedenfalls behauptet, bei Ideologie seien die ökonomischen Einflüsse wichtiger. Sie bestimmen, wie sich die vorhandenen Ansichten verändern.

Hellfried:
Ergibt ja auch irgendwie Sinn. In unserer Welt dreht sich Alles bekanntermaßen um Geld und Profit, dieses Motiv blutet in jeden Bereich des menschlichen Lebens. Wir begründen unsere Handlungen oft mit Profit und Geld spielt immer eine Rolle bei jeder Lebensentscheidung, wenn auch manchmal nur im Hintergrund. Außer bei moralischen Fragen vielleicht.

Tina Rotfuchs:
Doch wem gehört die Moral?

Hellfried:
Wie meinen?

Tina Rotfuchs:
Moral ist seltsam, findest du nicht? In einem Moment lassen wir Flüchtlinge aus Nächstenliebe in unser Land, im nächsten Moment machen wir unsere Grenzen Dicht, aus Gründen der Nächstenliebe. Die eine Liebe ist die Liebe zu jedem Mitmenschen, auch den Fremden und die andere Liebe ist die Liebe zum Staatskollegen. Beide Argumentationen beziehen sich in gewisser Weise auf Moral. „Es ist nicht richtig, Leute sterben zu lassen. Wir müssen ihnen helfen!" „Wir müssen uns selbst schützen, bevor wir Anderen helfen können!" Wem gehört die Moral?

Hellfried:
Was weiß ich, vielleicht Jesus?

Tina Rotfuchs:
Die Moral gehört der Klasse. Sie ist „Klassenmoral" und rechtfertigt entweder die Herrschaft der „überlegenen" Klasse oder die Rebellion der unterdrückten Klasse. Sie springt in der Geschichte umher. Religion ist hingegen ist der Ohnmacht der Menschen entsprungen. Sie konnten Dinge nicht erklären, also erfanden sie einen imaginären Freund im Himmel, der es regnen lässt oder böse Männer strafen, die sich geküsst haben. Wir hinterfragen unsere Weltanschauungen nicht. Es ist nicht, dass wir Angst vor andersartigen haben, wegen tief sitzenden Stereotypen in der Kultur, nein, diese Flüchtlinge sind wirklich gefährlich, der komische Mann mit den Fliegen um den Kopf hat diese Männer verhext und jetzt sündigen sie. Ideologie wird oft nicht analysiert und wir stützen uns auf sie, als sei sie Fakt, wenn sie oft nur eine Reaktion auf die Zustände um uns herum ist. Eine Reaktion auf unsere „Geschichte von Klassenkämpfen."

Hellfried:
Das ist ja Alles schön und gut, aber ich würde gerne wissen, warum es mir so dreckig geht. Warum geht es mir so dreckig, Frau Genossenschaft?

Tina Rotfuchs:
Vielleicht beherrschen ökonomische Faktoren dein Leben. Vielleicht machen diese Faktoren dein Leben schwerer. Vielleicht solltest du eine urkommunistische Gesellschaft anstreben.

Hellfried:
Urkommunistische Gesellschaft, hörst du dir eigentlich zu? Und warum hole ich mir alle meine Informationen von einer roten Piratin? Was wird denn das Publikum denken, wenn sie nur eine Sichtweise zu sehen bekommen? (linst Richtung Leser) Nein, ich bin es diesen Leuten schuldig, zu recherchieren, du...du...rote Zora! (ab.)

Tina Rotfuchs:
Huh.

Akt Drei - Ich habe da ein paar Antworten

Eine einsame Wohnung, Abend
Hellfried sitzt vor seinem Computer und ließt wütend Artikel durch. Er hat bereits seine dritte Tasse Kaffee getrunken, die Letzte hat er mit RedBull aufgepeppt. Es ist klar, dass er bis spät in die Nacht arbeiten wird, um die Meinung der „Roten Zora" zu debattieren. Der skeptische Geist hat ihn erleuchtet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er -

Hellfried:
Was zur Hölle lese ich da für einen Mist?

Hellfried bemerkt das Publikum.

Hellfried:
Ah, guten Abend an euch. Muss schön sein, einfach nur dazusitzen und zuzuhören. Wenigstens müsst ihr nicht „Der Ursprung der Familie" lesen. Urkommunismus...dass ich nicht lache! So, jetzt wo ich genug recherchiert habe, kann ich euch ja erzählen, worauf ich gestoßen bin...

Helfried nimmt tief Luft. Was folgt ist die moderne Variante des Shakespear-Monologes- eine Rant. Eine massive, wütende Rant.

Hellfried (zunehmend emotional):
Friedrich Engels hat massive OkayBoomer-Energie. Dieser alte Weihnachtsmann schwärmt doch ernsthaft von der Stammesgesellschaft als wäre sie die fesche Tine aus seiner alten Oberstufenklasse! Dass ich von einem progressiven Philosophen ernsthaft eine Variante des „früher war alles besser" Arguments hören muss! Legen wir die Fakten nieder:

Fakt Eins: Friedrich Engels hat einen romantischen Ständer für die Stammesgesellschaft, wegen ihrer einfachen und kindlichen Charakteristika.

Fakt Zwei: Friedrich Engels denkt, dass „kindlich" eine gute Eigenschaft ist, als hätte er noch nicht bemerkt, dass Kinder nichts weiter sind als kleinere Menschen, die nach Butterkeksen und Kacke riechen.

Fakt Drei: Friedrich Engels ideale Zukunft ergibt keinen Sinn. Lesen wir hierzu ein paar Zitate.

Hellfried: (lesend)
„Ohne Soldaten, Gendarme und Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekte oder Richter, ohne Gefängnisse, ohne Prozesse geht alles seinen geregelten Gang. Allen Zank und Streit entscheidet die Gesamtheit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm oder die einzelnen Gentes unter sich."

Hellfried (Rant):
Also Herr Engels hätte gerne eine geregelte Welt, ohne sinnlose Einmischungen, Ausbeutung und Gefängnisse, in dem Alles im Stamm geregelt wird, als äußerstes Mittel der Justiz gilt hier die Blutrache. Er bezeichnet sie als weniger zivilisierte Variante der Todesstrafe, als wäre das ein guter Grund sie zu betreiben, dabei halte ich nicht einmal die Todesstrafe für sinnvoll. Weißt du, Friedrich, ich hätte auch gerne eine Welt ohne Bürokratie, in der ich keine fünfzehn Formulare ausfüllen muss, weil die EU ein neues Arbeitszeiterfassungsgesetz verabschiedet hat, aber ein „Einfaches Regeln im Stamm" würde überhaupt nicht funktionieren. Hast du schon einmal mit Menschen geredet, sie streiten sich wegen jeder Kleinigkeit und sind sich nie einig. Eine Welt ohne viel Bürokratie und Regel, in der fast alles in der „Community" geregelt wird ist das Internet. Das Internet ist die Personifikation der Wochendpartys des Teufels.

Hellfried (lesend):
„Die kommunistische Haushaltung und die Gens kennen ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Kriege Gelähmte. Alle sind gleich und frei – auch die Weiber. Für Sklaven ist noch kein Raum, für Unterjochung fremder Stämme in der Regel auch noch nicht."

Hellfried (Rant):
Wow, sogar die Weiber was? Nur eine klitzekleine Frage, Friedrich. Warum sollten die Weiber in so einer Gesellschaft automatisch gleich und frei sein? Warum sollten die Leute ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Krieg Gelähmte kennen? (beruhigt sich) Ich denke, ich möchte damit nur sagen, dass ich Engels in einem Punkt definitiv nicht zustimme: Ich bin nicht der Meinung, dass alle Diskriminierung verschwindet und alle gleich und frei werden, nur weil man die sozialen Klassenunterschiede abschafft. Menschen sind misstrauische Wesen, die einander eine Klippe hinunterschmeißen, weil sie anders aussehen. Haben Menschen nicht immer einen Drang nach Macht, einen Drang nach Dominanz? Wie würde eine Gesellschaft, in der alle gleichviel entscheiden überhaupt aussehen? Könnte es so eine Welt überhaupt geben? Ich kann mir nicht vorstellen, wie Engels diese Wunschvorstellung umsetzen will. Ich stimme ihm ja zu, wenn er sagt: „Und die neue Gesellschaft selbst, während der ganzen dritthalbtausend Jahre ihres Bestehens, ist nie etwas andres gewesen als die Entwicklung der kleinen Minderzahl auf Kosten der ausgebeuteten und unterdrückten großen Mehrzahl, und sie ist dies jetzt mehr als je zuvor." Aber können wir diesen Zustand überhaupt noch ändern? Engels beschreibt die Geschichte als eine „Geschichte von Klassenkämpfen". Vielleicht ist es einfach Teil des menschlichen Wesens, immer noch Überlegenheit zu suchen und deswegen immer neue Klassenkämpfe zu schaffen. Vielleicht ist die Anstrengung auch einfach sinnlos... Dieses ständige Konkurrenzdenken startet ja schon im Kindesalter. Das ganze Schulsystem dreht sich um Konkurrenz, warum sonst rechnet man den Durchschnitt einer Klausur aus? Natürlich um zu vergleichen. Angeblich ist es das „Recht des Stärkeren", der Intelligentere, Charismatischere, Fähigere kriegt den Job. Aber ist es nicht vielmehr das „Recht des Glückes"? Und wenn du als Frau geboren wirst? Als Ausländer? Als Mensch mit Behinderung? Du hast automatisch schlechtere Chancen, weniger Möglichkeiten. Die Fähigeren kriegen das Geld? Viel mehr die Glücklicheren. Die Leute, welche in Industrienationen geboren sind, die das Geld bereits haben, um sich finanziell zu unterstützen, die das genetische Material haben, um als attraktiv zu gelten. Wie zur Hölle sollen die Menschen zusammen arbeiten, wenn wir ständig in Konkurrenz zueinander stehen?

Helllfrieds Computer beginnt unkontrolliert zu blicken. Innerhalb kürzester Zeit ändert sich sein Bildschirm und Tina steht wieder vor ihm, zufrieden lächelnd, die Arme lässig vor der Brust verschränkt.

Tina Rotfuchs:
Sieht so aus, als bist du Engels Meinung.

Hellfried:
Ja, von mir aus. Er sah in dieser endlosen Konkurrenz kein anderes Resultat als endlose Spekulationen und Monopolbildungen und sieh dich doch einmal um! Google ist die einzige SearchEngine, die wir benutzen, Amazon, der einzige wichtige Versanddienst und Disney kauft alle Filmstudios auf, die nicht bei drei auf dem Baum sind. Wir arbeiten nur noch gegeneinander und kommen nicht mehr raus. „Die Konkurrenz hat alle unsre Lebensverhältnisse durchdrungen und die gegenseitige Knechtschaft, in der die Menschen sich jetzt halten, vollendet." Und so wird es immer bleiben. Eine Geschichte von Klassenkämpfen, die niemals aufhören.

Tina Rotfuchs:
Aber weißt du, warum ich Engels mag? Weil er Optimist ist. Die Geschichte ist für ihn kein sinnloses Gewirr, sondern etwas, dass wir selbst machen. Die Geschichte scheint wirr, aber es liegt ein System dahinter, welches wir noch nicht verstehen, aber verstehen WERDEN. Ich halte das für grenzenlos optimistisch.

Hellfried:
Also ist die kommunistische Utopie nur eine Frage der Zeit?

Tina Rotfuchs:
Wahrscheinlich nicht. Perfektion ist unerreichbar, das sagt dir jeder Disneyfilm. Aber das heißt nicht, dass wir nicht weiterforschen können. Dass wir nicht versuchen können zu verstehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Geschichte begreifen? Warum sollen wir nicht versuchen, die Generation zu sein, die das tut? Warum nicht wagen zu entdecken? Und selbst wenn wir nicht die Glücklichen sind, die den Code knacken, dann haben wir auf der Reise wenigstens ein paar Denkanstöße gefunden- über unser Leben, unsere Weltvorstellungen und den Weg aus unserem ganz eigenen Klassenkampf.

Die Autorin

Janina Lara Makowe wurde am 21.11.2000 in einer Vorstadt von Ulm in Baden-Württemberg geboren.
In ihren letzten Jahren am Robert-Bosch-Gymnasium hatte sie die Möglichkeit im Rahmen ihres Literaturkurses mit Autorin Sudabeh Mohafez an einer eigenen Kurzgeschichtensammlung zu arbeiten.
2019 wurde sie mit dem Scheffelpreis für die beste Leistung im Fach Deutsch ausgezeichnet. Ihre Kurzgeschichte „Cadaverosus organum" erschien in der 78ten Ausgabe der Literaturzeitschrift „Am Erker".

Veröffentlicht am 15.04.2020

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