Blog | 50 Jahre die börse!

Rede von Uwe Schneidewind am 8. November 2023 zur Eröffnung des Festivaljahres „die börse wird 50!“

„Ein Identitätsort über die Generationen hinweg“

Transkription der freien Rede von Uwe Schneidewind am 8. November 2023 zur Eröffnung des Festivaljahres „die börse wird 50!“, sprachlich an die Schriftform angepasst.

Liebe Anwesende, lieber Peter Grabowski,

ich habe mich total auf den Abend gefreut. Wir haben den Auftakt zum Festivaljahr ja schon im Mai zum 50. Geburtstag des Trägervereins gefeiert – und ich bin in einer sehr besonderen Situation, weil ich selber erst seit gut 10, knapp 15 Jahren in Wuppertal lebe.

Bei dieser Auftaktveranstaltung wurde mir selber noch einmal in besonderer Weise deutlich, was die börse für ein Identitätsort für die Wuppertaler:innen ist – ein Identitätsort über die Generationen hinweg. Das, was wir im Mai an den unterschiedlichen Worldcafé-Tischen erlebt haben, war extrem berührend und bewegend. Eben auch ein Identitätsort über die unterschiedlichen städtischen Milieus und Szenen hinweg. Ich bin an dem Abend wirklich tief beeindruckt nach Hause gegangen, weil man solche Orte, die für einen ganz breiten Teil der Stadtgesellschaft – generationenübergreifend und auch milieuübergreifend – die einen solchen Fokuspunkt, einen Erinnerungsort, einen Erlebnisort darstellen, ja nur noch ganz, ganz wenige hat. Der gleichzeitig in unserer immer vielfältiger werdenden Stadtgesellschaft, in denen sich in letzten 50 Jahren ohnehin rasant entwickelnden Individualisierungsprozessen, eine gewaltige Bedeutung besitzt.

Was machen eigentlich die Orte, die als Kitt in der Stadt Gesellschaften dienen? Solche Orte haben eine ganz zentrale Funktion für den Erhalt des demokratischen und friedlichen Miteinanders in unserer Stadtgesellschaft. Weil man da plötzlich Punkte hat, die in emotionaler Weise verbinden, und die dann helfen, Brücken zu bauen, dort, wo viele Brücken vielleicht gar nicht mehr in der Form bestehen. Dass das überhaupt möglich ist, hängt ja nicht an einem physischen Ort. Dafür ist die börse natürlich auch ein wunderbares Beispiel durch ihre Umzüge. Vielmehr hängt es davon ab, wie ein solcher Ort immer wieder inszeniert, wie er bespielt wird. Ich glaube, das ist eine großartige Leistung über 50 Jahre, über fünf Jahrzehnte hinweg. Diese Kultur, also diese Lebendigkeit, dieses Lebenselixier aufrecht zu erhalten, eine Vielfalt immer wieder im Nebeneinander und Miteinander an einem Ort möglich zu machen, was dazu beiträgt, diese Anziehungskraft in intensiver Form zu erhalten: Dadurch erfüllt die börse genau diese gerade beschriebene Funktion in der Stadtgesellschaft.

Ich habe vor meinem geistigen Auge mal ablaufen lassen, was in meinem kurzen Wuppertaler Leben  denn eigentlich die drei Ereignisse sind, die ich jetzt mit der Börse verbinde, und schon bei diesen drei Ereignissen und Events, die mir im Kopf sind, wurden mir die Leistungsfähigkeit der börse, immer wieder Diverses und Vielfältiges zusammen zu bringen, deutlich.

Das jüngste Ereignis, das mich wirklich sehr berührt hat: Wir haben ja ein aus den Partnerstädten organisiertes Netzwerk, das zusammengehalten wird durch den „Grünen Weg“, der Radtouren zu den Partnerstädten organisiert und in diesem Jahr wirklich eine Rundtour durch alle europäischen Partnerstädte gemacht hat. Das Abschlusstreffen fand hier in der börse statt, mit Delegationen aus all diesen Städten, insbesondere South Tyneside war sehr intensiv vertreten. Ich erwähne das nicht nur, weil es atmosphärisch ein wunderbarer Abend war, sondern weil man mit einer solchen Veranstaltung, die auch eine repräsentative Schlüsselfunktion in der internationalen Arbeit der Stadt hat, der Städtepartnerschaftsarbeit, ganz selbstverständlich hier an einen solchen Ort kommt, weil man auch den ausländischen Gästen eine ganz besondere Qualität des Miteinanders und der Kultur im besten Sinne dieser Stadt zeigen will. Und weil mich das auch ohnehin immer wieder beeindruckt, wie es gelingt, in diesen fensterlosen Räumen eine Wärme, eine Intensität, eine Begegnung zu erzeugen. Das hat nicht nur mit den Menschen zu tun, sondern immer wieder auch mit der Inszenierungskunst, die wir hier in der börse haben.

Das zweite sind Parteiveranstaltung, dass also auch der politische Raum hier immer wieder eine Rolle spielt. Auch für diejenigen, die sich politisch in der Stadt engagieren, ist die börse ganz natürlich ein Ort und einer, der einfach für eine bestimmte Form von Debatten und Diskurskultur steht.

Und die dritte Veranstaltung – ich habe Herrn Sander auch gesehen – wir sind ja damals im Wahlkampf 2020 im Poetry-Slam gegeneinander angetreten. Das war der erste Poetry-Slam, den ich je im Leben gemacht habe. Und dass man sich auf so etwas eingelassen hat, was dann ja auch noch mal viel zu tun hat mit dem Verlassen von Komfortzonen, lag aber an dem Vertrauensklima eines solchen Veranstaltungsorts und ihrer Macherinnen und Macher – dass du genau wusstest, hier ist ein Ort, wo man so zu sagen nicht riskiert, sich einfach nur zum Clown zu machen, sondern wo in der richtigen Art und Weise mit so einem etablierten Format umgegangen wird.

Ich glaube allein an diesen drei Beispielen wird deutlich, was die börse leistet – und das sind ja jetzt nur drei aus unendlich vielen Formaten der Kultur, der Bildungsarbeit, die anfängt bei Grundschülerinnen und Grundschülern, die in der Integrationsarbeit unterwegs ist. Das gesamte Veranstaltungsangebot ist einfach faszinierend. Die börse ist hier in Wuppertal eingebettet in das Netzwerk vieler anderer solcher Orte der Soziokultur, die in den letzten Jahrzehnten und zum Teil Jahren entstanden sind: Ich habe heute schon Iris Colsmann von der Färberei und all dem, was mit „Die Wüste lebt“ in Oberbarmen passiert ist, gesehen. Die Utopisten sind hier mit der Utopia-Stadt, ein Ort, der jetzt seit 15 Jahren seine ganz eigene Qualität entwickelt. Das Café Ada und die Insel, das Loch, der Bürgerbahnhof Vohwinkel, aber auch Orte wie das Café Swane, einfach um nur einige zu nennen. Wir bewegen uns ja hier in einem faszinierenden Netzwerk der Soziokultur, die auch untereinander in intensivster Form vernetzt ist.

Deswegen ist es wirklich schade, dass es Ina Brandes jetzt durch höhere Gewalt nicht geschafft hat, zu kommen. Dass sie heute zugesagt hat, ist auch ein Ausdruck davon, wie wichtig ihr das ist, jetzt in der aktuellen Kulturpolitik des Landes auf eine Kultur zu setzen, die breit in der Gesellschaft ankommt, die auch in Gesellschaft hineinwirkt, und es wäre, glaube ich, faszinierend gewesen, das hier an diesem Ort und in dieser Veranstaltung erleben zu können – und wir wären natürlich auch interessiert gewesen, zu hören, wie sie darauf schaut. Insofern hoffe ich, dass Peter Grabowski richtig gut verhandelt hat und wir einen Rahmen schaffen, um das an sie heranzutragen. Denn trotz dieser, glaube ich, auch für die Demokratie in der Stadtgesellschaft so zentralen Wirkung, ist die große Frage: Wie empowere ich das eigentlich, wie schaffe ich auch die Ressourcen, die finanziellen Grundlagen, um diese lebendigen Netzwerke aufrecht zu halten? Das ist ein Riesenthema. Natürlich gerade jetzt aktuell mit lauter Städten und Landkreisen, die in die Haushaltssicherung und den Nothaushalt hineinlaufen, im Landesetat, der unter massivsten Druck steht.

Ich glaub, in dieser Zeit ist es besonders wichtig, deutlich zu machen und auch lebendig werden zu lassen, welche Kraft Soziokultur für unsere Gesellschaft hat. Ich glaube hier ist die börse eines der faszinierendsten Beispiele dafür, was das sein kann.

Insofern: Richtig Glückwunsch sagen darf ich euch noch gar nicht, soviel aber schon mal im Vorlauf: Ich eröffne das Festival zum 50. Geburtstag und sag einfach Riesendank an das ganze Team!  Für das, was ihr seit über 50 Jahren leistet. Von denjenigen die das damals mit Intensität aufgespürt haben, sind viele da – ich möchte E. Dieter Fränzel ganz herzlich begrüßen. Es freut, glaube ich, ganz viele riesig – auch mich persönlich – dass er hier heute vor Ort ist. Mit vielen anderen, die das mit auf den Weg gebracht haben.

Erhaltet euch diese Energie, kämpft auch unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen dafür, dass das gesehen wird. Bleibt dran, rüttelt an uns, rüttelt am Land. Es ist von ganz zentraler Bedeutung.

Aber jetzt wünsche ich euch erstmal auf diesem Festival richtig viel Spaß, feiert das, genießt das, lasst diese Erinnerung wirken und all die wunderbaren Bilder, die Impulse, die Freundschaften, die Lieben, die sich in diesen 50 Jahren börse hier ergeben haben. Es ist einfach ein fantastischer Ort. Und ich freue mich riesig, heute hier mit euch sein zu können.

[Applaus]

 

Erläuterungen: Die Rede wurde vor der Diskussion „100 Jahre Soziokultur? Die nächsten 50 Jahre!“ gehalten, mit der das Festivaljahr eröffnet wurde. Eingeladen war und zugesagt hatte die Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalens Ina Brandes, die sich aufgrund einer verlängerten Ausschusssitzung zum Thema Israel und einer Vollsperrung der Autobahn entschuldigen ließ. E. Dieter Fränzel ist wesentlicher Motor der Gründung und Ehren-Vorsitzender des Trägervereins der börse.

Foto: Ralf Silberkuhl

die börse wird 50 - Das Festivaljahr:

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Veröffentlicht am 12.12.2023

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