Blog Stadtteilschreiber

Die Stadtteilschreiberin im Kiosk Schäfer

FÖHN; FISCHKONSERVEN UND FELGENBAUM: WIE EIN KLEINER KIOSK GEGEN DIE ANONYMITÄT IN DER SÜDSTADT ANKÄMPFT

Es ist eine mindestens ungewöhnliche, wenn nicht gar kuriose Mischung an Artikeln, die Gabi Schäfer in ihrem Lädchen in der Südstadt anbietet. Und er ist genau das, woran es in vielen Quartieren mangelt: ein Ort der Begegnung.



 Ich wohne ja wirklich sehr gern am Ölberg, das muss ich an dieser Stelle mal zugeben. Aber ein Laden, wie der von Gabi Schäfer, der wäre für mich fast ein Grund, mit Sack und Pack die Wupper zu überqueren und dort zu bleiben. Denn in ihrem Kiosk an der Haubahn gibt es wirklich nichts, was es nicht gibt. Den Geburtstag von Omma vergessen? Hier gibt es Parfüm, Vasen, Geschenkpapier und Glückwunschkarten. Spontanes Grillen? Dann ab zu Kiosk Schäfer und flugs Grillkohle, Baguette und Würstchen eingepackt. Am Oberkopf zeigt sich ausgerechnet vor dem Date ein grauer Ansatz? Hier gibt's frische Farbe fürs Haupthaar. Von Nudeln, Reis, Eintopf, Dosenravioli oder Spargel im Glas ganz zu schweigen. Standardwaren wie Zigaretten, Zeitungen und Chips muss man hier erst gar nicht erwähnen, klar.

Seit 2006 gibt es diesen Wunderladen, in dem sich zuvor eine Fahrschule und eine Bäckerei befand. Mit ihm erfüllte sich Gabi Schäfer einen lang gehegten Traum. „Ich bin gelernte Verkäuferin und habe mir immer einen eigenen kleinen Laden gewünscht", erzählt die 72-Jährige. „Dann machte meine Tochter ein Geschäft auf und ich war richtig eifersüchtig", lacht sie. Als dann eine Freundin aus der Südstadt von dem leerstehenden Ladenlokal berichtete, war es besiegelt. Das würde ihrer werden. Mit einer einjährigen Unterbrechung 2011 – die Rentnerin hatte eine Hüft-OP- steht sie seither dort hinter der Ladentheke, der man ihre Bäckerei-Vergangenheit ansieht.

Das Angebot sei langsam mit den Jahren gewachsen, erinnert sich Schäfer. „Anfangs hatte ich nur ein Grundsortiment an Lebensmitteln. Mit der Zeit bin ich den Wünschen meiner Kunden immer mehr nachgekommen. Was ich nicht direkt da hatte, habe ich besorgt – fürs nächste Mal. Damit ich es dann anbieten konnte. Und wenn derjenige es nicht mehr brauchte, dann kam eben irgendwann jemand anders, der den Artikel mitgenommen hat. Es gibt eigentlich keine Dinge, auf denen ich ewig sitzengeblieben bin." Und so entstand mit der Zeit eine wirklich eindrucksvolle Sammlung an Waren. Bei meinem Besuch dort konnte ich mich teilweise schwer auf das herzliche Gespräch mit Gabi Schäfer konzentrieren, weil meine Augen immer abschweiften, um diese zahlreichen Kuriositäten zu entdecken: Putzmittel, ein Fahrradkorb, Portemonnaies, Bowle-Spieße, Hundefutter, ein Badezimmerhocker, Lampen und Pfannen, ein Haar-Glätteisen, Pflanzen und ein Akku-Luftkompressor. Ich bin begeistert.

Leben, sagt Gabi Schäfer, könne sie jedoch nicht von dem Laden. Als Rentnerin sei sie zum Glück aber auch nicht ausschließlich darauf angewiesen. Sie sieht ihren Kiosk eher als Treffpunkt für die Menschen im Quartier – und als Ablenkung für sich. „Mein Mann ist vor ein paar Jahren gestorben, dann auch meine Tochter. Ich freue mich, wenn ich was zu tun habe und nicht nur zu Hause sitze." Zugleich muss sie mit ihren Kräften haushalten, daher ist ihr Kiosk nur bis 13 Uhr geöffnet, das aber jeden Tag. Während die patente Frau erzählt, entdeckt sie plötzlich einen Bekannten auf der Straße und läuft zur Tür. „Werner", ruft sie, „Werner!" Werner dreht sich um, begrüßt Gabi Schäfer mit der eigenen Wuppertaler Herzlichkeit. „Gabi, wat gibbet?" Die Kioskbetreiberin hat ein Problem mit ihrem Scheibenwischer. „Kannst du da mal nach gucken? Gibt auch einen Kaffee dazu." Werner nickt. „Ich komm morgen mal rum." Ich bin berührt von dieser Szene. Es gibt sie also doch noch, die gute alte Nachbarschaft, wo man sich gegenseitig hilft. Das ist ein schöner Gedanke, denn sonst haben die Menschen hier mir gegenüber beklagt, dass sie so ein Miteinander vermissen.

Gabi Schäfer gibt mir Recht. „Das ist ein positiver Effekt meines Ladens. Normalerweise, also vor Corona, trafen sich bei mir viele morgens zum Kaffee, aßen ihr Brötchen, rauchten draußen ihre Zigaretten miteinander. Sie redeten, lernten sich kennen, halfen einander. Jetzt fällt das alles weg. Auch mir fehlt dieser tägliche Schnack mit den Kunden." Wie wichtig ihr Laden als Anlaufstelle für Gespräche ist, das würden ihr viele Kunden immer wieder bestätigen. „Viele kommen auch nur zum Quatschen rein. Das ist zwar schön, aber für mich natürlich auch ein Problem. Sie machen ihre Einkäufe beim Discounter die Straße runter und lassen ihr Geld dort. Dann kommen sie mit ihren Einkaufstaschen zu mir, um noch zu töttern. Ich kann zwar verstehen, dass vieles bei Aldi und Co. einfach günstiger ist, aber ein paar Dinge könnte man sicher auch bei mir kaufen."

Ja, denke ich auf dem Heimweg, wenn wir kleine, persönliche Geschäfte in unserem Viertel wollen, dann müssen wir sie halt auch unterstützen. So wie wir beklagen, dass unsere Innenstädte ausbluten, zugleich aber selbst dazu beitragen, indem wir alles online kaufen, dürfen wir uns auch nicht wundern oder gar beschweren, wenn es eben keine kleinen Läden mehr vor unserer Haustür gibt, weil wir alles günstiger beim Discounter besorgen. Dann gibt es keinen Ort des Miteinanders und des täglichen Austauschs. Und ohne sie gibt es auch kein Gefühl von Zusammengehörigkeit, von Zuhause und Identifikation. Wir haben es selbst in der Hand, was wir unterstützen. Ich hole mir jetzt erstmal einen Kaffee und eine Zeitung bei mir um die Ecke ...

Kiosk Schäfer (auch DHL Shop)
Haubahn 16
42119 Wuppertal
Geöffnet: Montag bis Freitag 7.30 – 13 Uhr; Samstag / Sonntag 8 – 13 Uhr
Telefon: 0157/31629555

 

Kioskinhalberin Gabi Schäfer,

Gemischte Waren

"En Garde"

Mitten im Quartier - auch sonntags alles da

Fotos: Nicole Bolz

Nicole Bolz - Journalistin, Wuppertalerin. Immer neugierig, oft kritisch. Fragemonster und Buchstabendompteuse. Anzutreffen bergauf und bergab im schönsten Tal an der Wupper.


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Veröffentlicht am 13.11.2020

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