Blog Stadtteilschreiber

Der Stadtteilschreiber bei Familie Ratuschny

KURS SÜD-SÜDWEST - EIN UMZUG WEG VOM STRASSENLÄRM

„Wenn Bonbons vom Himmel fallen, bleib, wo du bist" - in Anführungszeichen könnte der Satz glatt als Zitat irgendeines weisen Menschen durchgehen. Er ist aber nur von mir, inspiriert von einem wunderbaren Bild, das ich seit einem Gespräch mit Anna Ratuschny im Kopf habe.



Ein großes Haus, ein Garten, alte Damen, die Süßigkeiten für die Kinder herabwerfen, mitten in der Südstadt. Gibt es nicht? Doch, gibt es. Gab es zumindest bis vor drei Jahren in der Brüningstraße, einer direkten Verbindung von der West-, raus auf die Blankstraße. Hier wohnten Anna und Alex Ratuschny mit zwei Kindern, über neun Jahre lang. „Unser zweiter Sohn war gerade eine Woche alt, da sind wir im Erdgeschoss eingezogen."

Eine zentrale Lage war der Familie wichtig, und ein Garten. Alex Ratuschny arbeitete seinerzeit in einem Betrieb an der Adersstraße. „Für uns war es in der Brüningstraße schön und gut", resümiert Anna rückblickend. „Schräg gegenüber ist dort ein Supermarkt, am anderen Ende der Straße eine Bäckerei." Zwar war es zum Spielplatz schon ein Marsch von zehn Minuten, aber im Nachbarhaus wohnte eine Freundin mit Kindern. Und auch zum Kindergarten am Arrenberg war es zu Fuß kein Problem. In dem recht großen Wohnhaus selbst gab es dann eben noch besagte alte Damen, seit gut 50 Jahren dort wohnhaft.

„Wir haben ihnen öfter geholfen, als Dankeschön warfen sie den Jungs Bonbons in den Garten", berichtet Anna und lässt ein Bild auferstehen, das ich aus meiner eigenen, etwas länger zurückliegenden Kindheit und vielleicht noch aus Arthouse-Filmen kenne. Friede, Freude, Nachbarschaft also? Nicht ganz. „Viele Nachbarn kannten wir gar nicht. Es gab viele kleine Wohnungen, in denen junge Leute, meist Studenten wohnten. Aber eben nicht so lange. Da wusste man oft gar nicht, wer eigentlich Nachbar oder Besuch ist."

Das Phänomen, dass ältere Menschen oft aufgeschlossener und freundlicher (im Sinne von „Hallo" sagen) sind, ist der Familie an ihrem neuen Lebensmittelpunkt etwas weiter westlich wieder begegnet. Bevor Anna und Alex Ratuschny aber die Brüningstraße verließen, machten sie dort noch ein paar anstrengende Jahre durch. Im Zuge der großen, mehrjährigen Döppersberg-Baustelle wurde die Straße nämlich zu einer Umleitungsstrecke und war damit um ein Vielfaches frequentierter als vorher. Mit Kinder- und Schlafzimmer hin zur Straße bedeutet das schlicht weniger Lebensqualität.

Auch größere Ausnahmezustände sind dann aber auch mal wieder vorbei; als der neue Döppersberg fertig war, saß Familie Ratuschny allerdings schon auf gepackten Koffern. „Im Ostersiepen" lautet seitdem die Adresse. Etwas weiter westlich gelegen, ist es doch ähnlich nah am Zentrum. „Nur komplett anders", schwärmt Anna von dem Umfeld, in dem ihr Einfamilienhaus (natürlich mit Garten) steht. „Es ist nicht laut. Wir können bei offenen Fenstern schlafen!" Und wie in vielen gewachsenen Siedlungen und Vierteln findet auch dort ein Generationenwechsel statt.

„Die jüngeren Leute leben aber zurückgezogener", wundert Anna sich. Wieder seien es die Älteren, die sich aufgeschlossener zeigen. „In der Nachbarschaft lebt ein italienisches Pärchen. Da habe ich einmal nach Salz und einmal nach einem Ei gefragt. Die Frau hat sich richtig gefreut. In Italien sei das völlig normal. Sie wollte mir direkt zehn Eier geben", lacht sie.

Die beiden Jungs, die von der Brüningstraße aus ihre Kita- und Grundschulwege hatten, rauschen heute weiter südlich den Berg hoch Richtung Küllenhahn. Und für Anna geht es wahrscheinlich bald wieder morgens zum Arrenberg, wenn der dritte Sohn hoffentlich in den gleichen Kindergarten gehen kann wie seine Brüder früher.

 

Anna Ratuschny, Foto: Privat

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Jörg Degenkolb-Değerli – Autor, Moderator und Bühnenliterat. Mit eigenartigen Einzeilern und pointierter Poetry bewegt er sich meist im Spannungsfeld zwischen „schreiend komisch" und „bitterernst". Eben Texte für Zwerchfell, Herz, Hirn und das Quartier. Für uns unterwegs als Stadtteilschreiber der Südstadt und vom Hesselnberg.

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Das Projekt "Stadtteilschreiber" wird gefördert von

Veröffentlicht am 05.03.2021

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