Blog Stadtteilschreiber

Der Stadtteilschreiber besucht ein Fest

NOTIEREN SIE DAS! - EIN FESTBERICHT ZWISCHEN BÜRGERN UND BURGERN

„Stadtteilschreiber? Was ist das?" - „Das ist, wenn es zum Stadtschreiber nicht gereicht hat. Dann streift man eben nur durch ein bestimmtes Quartier." „Soso, dann notieren Sie mal Folgendes ..." Auf genau solche Gespräche hatte Stadtteilschreiber Jörg Degenkolb-Degerli gehofft. Er sollte nicht enttäuscht werden.

Da sein, wo's passiert. Bereits eine Stunde vor dem offiziellen Start des Nachbarschaftsfestes „Wir sind Europa" trudel' ich auf dem Schulhof der Grundschule Hesselnberg ein. Von hier aus wird es einen musikalischen Umzug Richtung „börse" geben. Eyecatcher dabei sind ganz klar nicht der Menschentross, der sich um 13:15 Uhr auf den Weg macht, sondern die großköpfigen Botschafter-Figuren - u. a. Freundschaft, Liebe und Respekt - die in der Figurenwerkstatt der Grundschulkinder mit Hazy Hartlieb und Lothar Abstohs entstanden sind. Earcatcher wiederum ist die Brassband Belakongo, die fast ein wenig verhalten den Stadtteil Hesselnberg weckt - und offensichtlich polarisiert. Schließlich ist Sonntagmittag.

Beim Marsch über den Hesselnberg, rauf zur Hirschstraße und von dort über die Bendahler Straße runter zur „börse" zeigt sich dann auch: Es sind nicht alle amüsiert. Hier und da werden Gardinen gelupft, Nasen gerümpft, Fenster geschlossen. Der Großteil jedoch zeigt ein freundliches Lächeln, macht Fotos und filmt (vielleicht ja auch nur als Beweismaterial, haha?!). Fakt ist mal: Marschierende und Musiker haben großen Spaß an der Sache und die Grundschüler begleiten stolz ihre „Gigantones", die hier zum Leben erweckt werden. Quasi perfekt.

Ich begleite die stampfende Brassband filmend bis auf den Parkplatz der „börse" und werde dort sogleich ausgebremst und abgefangen. „Sind Sie nicht ...?" „Ja, stimmt ..." Ab hier folgt das für mich an diesem Tag Wichtigste (neben einem köstlichen Burger, den ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht kennengelernt habe): Gespräche. Denn spannender als jedes Programm sind letztlich nur Menschen. In diesem Fall Bewohner, Bürger und Besucher. Noch wichtiger ist bei so einem Fest nur der Überblick. Den darf man als Stadtteilschreiber nicht verlieren. Deshalb geh ich mal rum.

Aha, der Plan ist aufgegangen: Das Nachbarschaftsfest als Mix aus Info-Veranstaltung, Sommerfest und Bühnenprogramm. Auf dem Parkplatz jauchzen Kinder am CVJM-Spielmobil, es wabert die Hüpfburg, flankiert von Pavillons unterschiedlichster Initiativen. Das Thema Patientenverfügung, das beim Humanistischen Verband besprochen werden kann, ist vor dem Frühstück nichts für mich. Deshalb erstmal ein Stück Kuchen vom Stand des Aufbruch Hesselnberg und ein wenig Schlendrian, vorbei an attac, dem Freundeskreis Espace Masolo und dem Bürgerverein Elberfeld-Südstadt, wo ich auch Gelegenheit habe, mit Kollegen Martin Hagemeyer zu quatschen. Wohlfühlatmosphäre. Den Stadtsportbund sowie den Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder und auch den Äthiopisch-Deutschen Verein Frauen und Kinder suche ich später auf. Wahrscheinlich. Großartig schon mal vorweg: Teilnehmer und Besucher bilden eine kulturelle Vielfalt ab - wir sind hier so was von Europa!

Indoor geht es munter weiter. Ich mache einen Abstecher in den Blauen Saal. Hier singt ein Chor. Draußen muntert mich Lukas Hegemann von der „börse" auf, mich mal mit Europafahne und entsprechendem Statement fotografieren zu lassen. Mir fällt nix ein. Meine Stimmung gerät kurz ins Wanken. Ich weiß nicht, warum ich für Europa bin? Darf ich dann überhaupt hier teilnehmen? Stadtteilschreiber sein? Auf diesem Kontinent leben? Dann endlich: Eine Formulierung, wie ich sie herbeigesehnt habe. „Mir ist Europa wichtig, weil ich Gemeinschaft der Abgrenzung vorziehe." Nicht schlecht, oder? Hochhalten, lächeln, knips. Eine sehr schöne Aktion, diese Aktion.

Blick nach draußen: In der Biergarten-Lounge wird um die Wette gechillt, die Anlage steht für Singer-Songwriter Joscha David M. bereit. Im Treppenhaus werden über Eck riesige Fotos an die Wände projiziert: Hier Arbeiten des Bildhauers Eckehard Lowisch, dort Ergebnisse aus der Foto- und Filmwerkstatt unter der Leitung von Michael Baudenbacher. Fett! Oben, im Roten Salon, bereiten sich Sängerinnen und Sänger auf ihren Auftritt vor; weiter durch, im Konferenzraum, gießt Eckehard Lowisch als vom Wuppertal Institut ernannter „Zukunftskünstler" immer und immer wieder die eine Form mit dem Antlitz des scheidenden Museumsdirektors. Metaebene.

Nach einem erfrischenden Gespräch mit Eckehard und Tine Lowisch werf' ich erneut einen Blick in den Blauen Saal. Es singt ein Chor. Jetzt aber erstmal verbeamten lassen. Draußen, beim von der DemokratieWerkstatt installierten „Amt für Ideen", lasse ich mich nieder, um mal zu sehen, wie es denn mit der Gesprächsbereitschaft aussieht. Hier sitz ich nun allerdings auch mit direktem Blick auf das Grillgeschehen. Lange geht das nicht. Gespräche müssen gerade mal warten. Ein wirklich köstlicher Cheeseburger hat da jetzt mal Vorrang. Erst das Fressen, dann die Moral.

Episches Theater gibt es in der Folge nicht; jedoch zahlreiche, durchaus anregende Gespräche und unterhaltsamen Smalltalk und immer wieder mal dieses: Notieren Sie das! Es gibt da ein Mitteilungsbedürfnis. Bei vielen. Einige andere möchten sich meinen Fragen im Vorübergehen entziehen, indem sie darauf hinweisen, dass sie doch ganz woanders wohnen. Ja, und? Miteinander geht uns alle an! Bei wieder anderen renne ich offene Türen ein. Eine ältere Dame beklagt einen Missstand in der Iltisstraße; einen Herrn beschäftigen ganz zentral gescheiterte Förderprojekte („Na, Sie machen mir ja Mut!"); ein weiterer nutzt die Gelegenheit zur Generalkritik an Stadtentwicklungsprojekten, Gentrifizierung und einem nunmehr doch auch „korrupten OB". Kann man so sehen, muss man nicht teilen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „börse" sammeln darüber hinaus Stimmen, Vorschläge und Meinungen zum späteren Auswerten. Als Gitarrenklänge ertönen, beschließe ich eine musikalische Berieselung durch Joscha David M. - eine gute Entscheidung. Ebenso wie nochmal im Blauen Saal vorbeizuschauen. Dort singt ein Chor.

Schließlich muss ich mich noch ein wenig eingrooven. Die ersten Hochrechnungen zur Europawahl wollen moderiert werden. Gut die Hälfte der Festbesucher haben das Gelände da bereits verlassen. Aber zahlreiche Interessierte lassen sich jetzt doch noch vor der großen Leinwand nieder. Kurz nach 18 Uhr nutze ich die vielleicht einmalige Gelegenheit meiner Moderatorenkarriere: Ich lasse von der Technik Jörg Schönenborn ausblenden, um stattdessen selber reden zu können. Was für ein Geniestreich. Die darauf folgende Diskussion zeigt: Der Untertitel des Nachbarschaftsfests „Europäisch denken, lokal feiern" spiegelt sich hier in Gänze wider. Die Leute haben Bock auf ein Miteinander! Die wollen dieses Fest feiern. Die wollen dieses Europa. Friedlich und gut für alle. Das ist am Ende des Tages, neben einem kühlen Feierabendbier und weiteren Gesprächen, das Beste!

 

Foto: Belakongo vor "Gigatones"

Foto: Joscha David M.

Foto: börsenchor

Foto: Eckehard Lowisch

Alle Fotos: Jörg Degenkolb-Degerli

+++ Projekt-Ticker +++ Es ist ja nicht so, dass mit dem Fest alles getan wäre. Die nächste große Präsentation gibt es im Rahmen des Forums Hesselnberg-Südstadt am 26.6. ab 17 Uhr. Dann zeigen die Teilnehmer der derzeit stattfindenden „Lebe dein Quartier"-Projekte Film- und Fotowerkstatt, Textilwerkstatt und Rap-Workshop ihre erstaunlichen Ergebnisse! +++

+++ Projekt-Ticker +++ Der Aufbruch Hesselnberg lädt zum Quartiersspaziergang ein: Gemeinsam soll ein Blick auf Vertrautes und Unbekanntes geworfen werden: Aussichtspunkte, Spielplätze, Brachflächen, Idyllisches und Abstoßendes. Treffpunkt ist am 22.6. um 14 Uhr vor der „börse"; Abschluss gegen 15:30 Uhr am Café Podest am Skulpturenpark. „Wir sprechen darüber, warum diese Orte Aufmerksamkeit benötigen. Was gefällt uns? Was kann dort noch passieren? Was fehlt im Quartier, auf was können wir gut verzichten, oder soll es bleiben wie es ist?" +++

+++ Projekt-Ticker +++ Nach dem Fest ist vor dem Fest - auf dieser Seite bereiten wir das nächstte Fest vor: www.dieboerse-wtal.de/nachbarschaftsfest/ +++

Euch fällt was Berichtenswertes ein? Dann eine E-Mail an stadtteilschreiber@dieboerse-wtal.de!

Das Projekt wird gefördert von

Veröffentlicht am 31.05.2019

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