Blog Stadtteilschreiber

Der Stadtteilschreiber zurück aus der Winterpause - rein in die Coronakrise

TIERISCHER INSTINKT - DER STADTTEILSCHREIBER MARKIERT SEIN REVIER

Ich war lange nicht in meinen Quartieren. Und sie fehlen mir. Deshalb habe ich gestern Abend schon meinen schönsten Schutzanzug aufgebügelt und die Maske mit den kleinen Totenköpfen rausgelegt, um diesen Moment angemessen zu würdigen. Denn: In der Corona-Krise geht es auch um Würde - und würdevolles Verhalten und Auftreten. Also im Grunde um das Gegenteil von dem Gebaren auf Facebook.

Denn Kontaktsperre und Home Office bedeutet aktuell leider auch: Sauerstoffmangel im Gehirn PLUS Facebook-Standleitung GLEICH nicht mal mehr zum sich übergeben aufstehen, sondern einfach direkt auf den digitalen Stammtisch kotzen. Muss man ja nicht wegwischen, man geht ja irgendwann offline.

Ich hingegen gehe outdoor und frage mich, wo ich eigentlich vor zwei Wochen zuletzt geparkt habe. Nach einer halben Stunde finde ich mein Auto direkt vor dem Haus. Auf der Frontscheibe steht auf drei KLEINE Klebeetiketten verteilt eine Botschaft: Wer so parkt - Klammer auf: einen Parkplatz belegen, wo zwei Autos parken könnten, Klammer zu - der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Ich denke: Wer die Zeit hat, einen solch langen und bescheuerten Satz auf drei KLEINE Klebeetiketten verteilt zu schreiben, der hat auch die Zeit, einen Parkplatz zu suchen. Dann aber verbiete ich mir solche garstigen Facebook-Gedanken und appelliere erneut an meine Würde.

Und dann breche ich auf. Fahre durch stille, staubige, menschenleere Gegenden, die Scheiben runter, den Ellbogen raus ... das Flatterband, das ich mir vor dem Aufbruch noch locker umgeworfen habe, macht einen guten Job und flattert geräuschvoll vor sich hin. Ich fahre ... und fahre ... immer geradeaus ... Richtung Süden ... und stelle fest ... dass ich mich völlig verfahren habe. Wir Menschen vergessen so schnell.

Aber Google sei Dank führt mich das Navi zurück bis in die Südstadt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Keine Parkplätze. Sind ja alle zu Hause. Ich muss mit Warnblinklicht mitten auf der Weststraße stehenbleiben. Das ist nicht schön, aber jetzt is' auch egal. Schließlich will ich ja nur ein wenig rumlaufen, mal um den ein oder anderen Block.

Und was soll ich sagen? Ich erlebe die Südstadt jetzt und hier um 9 Uhr 30 wirklich noch mal ganz neu. Große Strohballen rollen durch die staubigen Straßen, irgendwo spielt jemand leise Mundharmonika; ansonsten hört man nur Schnarchen. Es ist das Schnarchen tausender Anwohner; eine regelrechte Schnarchkakophonie erhebt sich über den Stadtteil und lässt ihn wie einen überdimensionalen Bienenstock ertönen. Nur, dass eben gerade niemand außer mir fleißig ist.

Aber ich bin ja auch der Stadtteilschreiber. Einer muss diesen schmutzigen Job machen, mit Maske, Schutzanzug und Flatterband ... betrete ich nun die Einhorn-Apotheke, die wirklich so heißt. Geöffnete Apotheken wirken immer sehr beruhigend auf mich, gerade auch in Zeiten wie diesen. Ich sage zu der Apothekenfachkraft: Ich möchte Ihnen bitte zwei Fragen stellen. Warum ist die Apotheke nach einem Fabelwesen benannt? Die Fachkraft kneift die Augen zusammen und sagt: Ein Teil meiner Antwort würde Sie nur verunsichern. Was kann ich noch für Sie tun? - Ich frage: Gibt es bei Ihnen noch Desinfektionsmittel?

Die darauf folgenden Minuten liegen im Dunkeln. Ich erinnere mich an einen Schrei, an lautes Weinen und Blaulicht. Doch ich bin längst schon wieder auf dem Weg. Rolle entspannt die Wolkenburg entlang, schicke einen päpstlichen Winkegruß Richtung börse, fahre über die Bendahler Straße auf den Hesselnberg, auch hier mitten durch eine vibrierende Schnarchatmosphäre.

An der Ecke Haspeler Schulstraße halte ich kurz an und blicke auf die Kiosktür. Noch immer hängt dort unser grünes Stadtteilschreiberdisplay an der Scheibe. Ohne Text, ohne Foto. Ja, ich bin bestimmt ein Vierteljahr lang nicht mehr dort gewesen. Aber jetzt bin ich zurück. Und ich werde den Rahmen wieder füllen. Mit großen Worten und starken Bildern. —- Was für ein erhabener Moment! Ich möchte an dieser Stelle abschließen mit einem Zitat des großen deutschen Dichters Marius Möhre Wilke Wotan Müller-Westernhagen: Ich bin wieder hier, in meinem Revier!

Foto: Jörg Degenkolb-Degerli 

 

 

+++ Projekt-Ticker +++ Zur Zeit übt die börse sich im Digitalen.

Und in Wettbewerben:

Engels - Bandfestival.

Engels- Essay.

Engels - Slam.

Und:

Die Notrollen-Challenge.

 

 

Euch fällt was Berichtenswertes ein? Dann eine E-Mail an stadtteilschreiber@dieboerse-wtal.de!

Veröffentlicht am 06.04.2020

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