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Gemeinsam divers – Creative Writing – Sing'n'Songwriting – Workshops

Ulrike Reckermann: Weitere Texte aus der Schreibwerkstatt

Auf dem Unterbarmer Friedhof (Krimianfang)

Von Monumenten und Statuen und einer „Allee der Millionäre“ hatte sie geschwärmt und nun standen sie hier: auf einem Friedhof. Mit Führung! Diese Frau machte ihn noch wahnsinnig. Sie schleppte ihn von einer Kunstausstellung zur nächsten. Im Skulpturenpark waren sie zuletzt. Jedes Wochenende fiel ihr etwas Neues ein…

Sie folgten der Stadtführerin in größerem Abstand als der Rest der Gruppe. Immer blieb sie irgendwo stehen.

Ein wunderschöner Engel trauerte, eine Sphinx wachte über einem anderen Grab. „Schön…“, dachte er. „Aber wie schön wäre es jetzt in seinem Garten bei einem kühlen Bier.“

Die Stimmen entfernten sich immer mehr. Stille. Der Wind rauschte durch die Blätter der hohen Bäume. Wie friedlich…

Seine Frau beugte sich über eine Schale mit Astern hinweg, um eine Inschrift lesen zu können. Seine Augen waren noch immer besser als ihre. Auf dem Grabstein las er: „Ruhe sanft“.

Er stolperte und stieß mit dem Fuß gegen einen großen Stein. Sein dicker Zeh schmerzte. Er hob den Stein auf und wollte ihn an den Wegesrand legen. Da kam ihm plötzlich ein Gedanke: „Ja, gleich würde er seine Ruhe haben.“….

 

Von Kumpeln und besten Freunden (vorgegebener Satzanfang)

Eigentlich wollte ich gar nicht aufmachen, als es klingelte. Dann sah ich durch die Glasscheibe der Haustüre, dass dort niemand stand, sondern jemand saß. Auf einem Stuhl mit großen Rädern an jeder Seite.

Freddy? Wir schauten uns lange in die Augen. Ungläubig. Er bedeutete mir mit seinen Händen, doch zu öffnen. Und ich erwachte aus meiner Erstarrung.

Wie lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Die Haare waren weniger geworden und leicht angegraut. Aber das Gesicht war noch dasselbe. Große blaue Augen. Die vollen Lippen. Und das freundliche, jetzt etwas hilflose Lächeln umspielte noch immer seinen Mund.

Im Netz hatte ich ihn wiedergefunden. Gegoogelt. Was man heute so macht in der Pandemie, die uns nun schon seit zweieinhalb Jahren im Griff hat und die echten Kontakte schwinden lässt, weil sich jeder einigelt. Was würden wir nur ohne das World Wide Web machen. Es war nicht schwierig gewesen ihn zu finden. Zwei, drei Stichworte genügten schon.

Eigentlich heißt er Manfred. Hat lange in Stockholm gelebt, Skandinavistik studiert. Dort lebte er zuletzt mit seinem Partner. Beide waren sie geflohen vor der Bundeswehr. Erst nach Berlin, dann in die Niederlande. Schon in der Schulzeit war er anders als andere Jungs. Kein „ganzer Kerl“ mit großer Klappe und nichts dahinter, sondern eher bunter, liebenswürdiger, weicher, verletzlicher. Aber doch auch ein Kumpel und bester Freund.

So war er auch der beste Freund von meinem Freund damals und, obgleich er schwul war und mein Freund nicht, waren sie die besten Kumpel. Vereint standen sie zusammen gegen den Rest der Welt. Sie mussten sich nichts beweisen und verstanden sich prima. So haben sie gemeinsam halb Europa per Interrail erkundet und sind noch in der Oberstufe in den Sommerferien mit den Greyhound-Bussen die Ostküste Amerikas heruntergefahren.

Ich mochte Freddy sehr. Er war so wahnsinnig musikalisch und manchmal übertrieben schwärmerisch. So lud er zum Beispiel kurz vor Weihnachten einfach alle Freunde zu seiner Mutter nach Hause ein, um Beethovens Geburtstag zu feiern. Wir hörten Musik, tranken Bier und redeten über Gott und die Welt…

Und nun stand er vor der Türe. Oder besser: er saß. Wir wollten uns doch erst heute Abend in der Stadt treffen. Kam er im Rollstuhl vielleicht nicht dorthin? Hatte er Angst vor meiner Reaktion? Am Telefon klang er wie früher, lustig, schelmisch… und hatte mir nichts von seinem Handicap erzählt. Was wohl passiert war? Ob er einen Unfall hatte? War er krank?

Ein Hupen und Blinken rissen mich erneut aus meinen Gedanken. Wild gestikulierend, Grimassen schneidend, den Kopf zur Seite geneigt und die Augen zu einem lustigen Schielen verdreht schaute er mich lächelnd fragend an. Endlich öffnete ich die Tür, beugte mich zu ihm herunter, um ihn zu umarmen, und bat ihn herein.

Gleich würde er mir alles erzählen, auch, was er so die letzten 30 Jahre gemacht hatte, und ich wusste, es würde sein wie früher, egal, ob auf zwei Beinen oder auf zwei Rädern.

Den Namen habe ich ja noch nie gehört

Mein Kind kommt von einer Fete. Wieder mal zu spät. Immer mache ich mir Sorgen. 15 ist sie. Wie war das noch? 22 Uhr Schluss? Oder zu Hause sein? Egal. Ich hab die Verantwortung und das muss ich ihr jetzt zum x-ten Mal klarmachen.

„Ach, Mammaaaa… wir habe geredet. Du weißt, dass ich eh nix trinke. Joyce Mama hat mich mitgenommen.“ Sie ist genervt, aber eigentlich hat sie wieder mal nur das Ich-weiß-schon-Du-weißt-schon-Spiel eröffnet.

Daher kontere ich nur mit: „OK, vielleicht übertreib ich ja mal wieder. Mach mir halt Sorgen.“ Und frage dann wirklich interessiert: „Sonst redet Ihr doch nie so viel. Was war denn los, dass Ihr so die Zeit vergessen habt?“

„Pascal hat voll Ärger. War fast am Heulen… Mama: wir hatten doch letztens in der Schule diesen Workshop. LGBTQ, queer und so … Ich weiß gar nicht, warum die den machen. Aber vielleicht haben die Lehrer auch gemerkt, dass wir voll viele in der Stufe haben. Pascal fühlt sich nicht als Junge, aber seine Eltern checken das nicht. Oder sie wollen es nicht kapieren. Pascal muss ständig seinem Vater helfen. Hier was hämmern, da was schrauben… ganzer Kerl eben. Und Pascal ist voll angenervt, hält das langsam nicht mehr aus und würde am liebsten sofort ausziehen. Die Haare sind schon ein Stück länger und wenn sie ganz lang gewachsen sind, müssen die Eltern doch was merken, oder?!? Außerdem sollen wir jetzt „Izzy“ sagen.

Das scheint mein Kind ziemlich aufgewühlt zu haben. Ganz geflasht von so viel Offenheit, habe ich den letzten Satz nur halb mitbekommen und frage: „Izzy? Wie Izzy? Hab ich ja noch nie gehört…“

Da pariert mein Kind wie aus der Pistole geschossen: „Kannte ich auch nicht. Is n Mädchenname, sagt SIE.“

Nichts für schwache Nerven

Richtig, richtig spät ist es. Oder eher schon wieder früh? Der Abend in Solingen war schön. Doch lange feiern rächt sich in meinem Viertel. Wer im Kleeblatt ein Auto besitzt, der hat jetzt besser schon geparkt.

Ich fahre hierhin und dorthin. Nichts zu machen. Bleibt nur Kathis Postshop. Dort wollte ich eigentlich nicht hin, denn dann muss ich morgen um halb 6 den Wagen umsetzen. Aber heute führt kein Weg dran vorbei. Immerhin ist es nicht weit bis zu Hause. Ich schließe ab und gehe über die Ampel. Wie ruhig es hier sein kann – morgens um 2…

Ich biege in meine Straße ab. Doch was ist denn hier passiert? Ganz finster ist es in der engen Gasse. Die einzige Laterne – die vor meinem Fenster – ist aus! Ich sehe beinahe die Hand vor Augen nicht. Etwas huscht über die Straße… berührt meinen Fuß… Da! Noch etwas. Eine Dose scheppert. Nein, es ist ein Alu-Teller, der im Restlicht der Nebenstraße aufblitzt… Fast Food! Achtlos weggeworfen! Oder in der Finsternis einfach heruntergefallen?

Meine Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit und gerade will ich meinen Weg fortsetzen, da sehe ich das Gewimmel rund um den Teller.

Hunderte Ratten streiten sich um die Reste!

Zwei kommen auf mich zu!

Eine springt an mir hoch!

Ich wache auf. Schweißgebadet. So eine Ratte, wie die, die ich gestern gesehen habe – fast auf meinem Balkon, wenn auch vom ausgelegten Gift des Nachbarn schon angeschlagen – hinterlässt Spuren …

Ein Gedicht

Zarte Lila- und Rosatöne umspielen Wuppertals Hügel und Gebäude

Wie Toledo, denke ich, damals – mit dem Zug von Madrid aus

Der Morgendunst hebt sich langsam. Ich stehe oben im Ausguck der Christuskirche

Ich möchte fliegen – einmal Toledo und zurück

Goyas Bilder nochmal sehen und dann in Tonis Skulpturenpark landen.

Nächstes Jahr zur gleichen Zeit – ja, da mach ich das.

 

Oder kurz:

Lila-, Rosa-, Blautöne

Wuppertal? Oder doch Toledo?

Frischer Morgen so voller Wärme

Ich möchte fliegen

Von Goyas Bildern in den Skulpturenpark

Nächstes Jahr zur gleichen Zeit? Nochmaaal!

 

Veröffentlicht am 16.02.2023

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