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Anette Stechert: Alles Kappes

In der Schreibwerkstatt entstandene Texte



Alles Kappes

Wir gingen gemeinsam über den Markt. Die Sonne hatte sich hinter die Wolken verzogen, und mein Cousin aus Ostdeutschland hatte schlechte Laune.

„Hier sieht man ja nur dunkelhaarige Menschen“, bemerkte er. „Habt ihr keine Angst, dass eure Stadt verkommt? Bei den vielen Ausländern?“

Er zeigte mit dem Kinn auf eine Gruppe junger Männer, die rauchend herumstanden und lautstark auf Arabisch diskutierten.

„Und dann diese Kopftücher. Die Mädchen sehen ja direkt wie alte Frauen aus.“

Offenbar meinte er die beiden Türkinnen, die einen Kinderwagen vor sich herschoben.

„Alles Sozialschmarotzer“, sagte er verächtlich.

„Du möchtest die Ausländer weghaben?“, fragte ich ihn.

„Von mir aus gern. Ich fänd' es gut, wenn hier mehr Blond im Straßenbild herrschte.“

„Alles klar“, entgegnete ich und schnippte mit den Fingern.

Fort waren die Stände mit mediterranem Gemüse und Obst. Da war nichts mehr mit Schafskäse, Pepperoni und Olivenöl. Statt exotischer Delikatessen gab es fette Wurstwaren in den Auslagen, hinter denen rotgesichtige Männer mit fleckigen Schürzen standen.

Anstelle von Auberginen, Zucchini und Paprika lagen Reihen von Kohlköpfen auf den Verkaufstischen. Gleich daneben drehten sich Brathühner am Spieß.

Mein Besuch machte große Augen.

 „Hast du Hunger?“, fragte ich.

Er schaute blöd umher. „Hier war doch gerade noch so eine kleine Bude mit asiatischem Essen. So eine Wok-Küche“. Er sah sich um.

„Tja“, sagte ich achselzuckend. „Leider weg - war'n Vietnamese“.

„Und, und der Sushi-Laden da vorn...?“ Hilflos zeigte er in eine Ecke.

„Musste auch gehen – Japaner“, antwortete ich in gleichgültigem Ton.  „Aber hier: Erbsensuppe mit Einlage. Wie wär's? Ich lad' dich ein.“

Wir stiegen über einen Haufen Unrat. Mein Besucher trat versehentlich auf eine Papiertüte mit Essensresten.

„Ist ja eklig“, schimpfte er. „Warum räumt hier niemand den Müll weg?“

„Das haben immer die Ausländer gemacht“, sagte ich. „Aber die sind ja jetzt weg.“

„Ach so,“ sagte er. Sein Gesicht bekam einen nachdenklichen Ausdruck.

Veröffentlicht am 16.02.2023

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