Blog | Essaywettbewerb - Friedrich Engels

Peter Mitmasser - eingereicht am 6.5.2020

Morgen

Demnächst hat Friedrich Engels seinen 200sten Geburtstag. Aufmerksame Journalisten, die schon vor einigen Jahren den 200sten Geburtstag seines kongenialen Partners Karl Marx gefeiert haben, freuen sich, die wirtschaftliche Situation unserer Erde für einen Rückblick auf Engels und sein Werk nutzen zu können.

Nachdem er in Wuppertal zu Hause gewesen ist, sein Vater hatte hier ein Textilunternehmen betrieben, und ich als Einkaufsleiter der österreichischen Tochter des in Wuppertal beheimateten Lack- und Farbenkonzerns „herberts" häufig in Wuppertal zu tun hatte, habe ich natürlich früh über Engels gehört und über ihn auch gelesen.

Engels wurde von seinem Vater nach England geschickt, um dort das Textilbusiness von der Picke auf zu lernen. Eines der Zentren dieser Branche war Manchester, wo sich der sogenannte Manchester-Liberalismus an den Mitarbeitern ausgetobt hat: Schlechte Bezahlung schlechte Arbeitsbedingungen, die Engels bei den Arbeitern seines Vaters nicht nur miterlebt hat, sondern selbst durchsetzen musste, ließ ihn, der eng mit Karl Marx befreundet war und diesen mit Geld aus seiner privaten Kasse unterstützte, über die Verbesserung dieser Bedingungen nachdenken. Das ergab das „Manifest der Kommunistischen Partei", das in das innenpolitische Leben massiv und hart eingegriffen hat, weil die schlecht bezahlten und unter armseligen, ungesunden Bedingungen leidenden Arbeiter froh waren, dass sich hier jemand für sie eingesetzt hat.

Wenn wir die Situation von damals zu Beginn des Industriellen Zeitalters , schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte gesundheitliche Betreuung, schlechte allgemeine Lebensbedingungen, schlechte – wenn überhaupt - Schulen, schlechte Berufsausbildung, kein langes Leben und so weiter mit den heutigen Arbeits- und Lebensbedingungen vergleichen, so muss man beinahe annehmen, dass unsere Ur- Großväter durch die Armut so geschwächt waren, dass sie sich nicht zur Wehr setzen konnten, dass ihnen jede Kraft und Initiative gefehlt zu haben scheint.

Dafür hatten sie jedoch Marx, Engels und in Russland Lenin.

Marx und Engels zeigten 1848 mit dem kommunistischen Manifest, wie das Ziel dieser Bewegung aussieht: Die bürgerliche Gesellschaft muss überwunden werden, jedem menschlichen Individuum muss die Chance auf freie Entfaltung der Persönlichkeit offen stehen. (Bei Reclam ist ein kleines Büchlein erschienen „Manifest der Kommunistischen Partei" mit dem Untertitel „Was bedeutet das alles?") Um das zu ermöglichen, muss das Proletariat im Klassenkampf über die Bourgeoisie siegen.
Privateigentum an den Produktionsmitteln ist untersagt, die Menschen müssen befreit werden von allen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und religiösen Zwängen.

Was Letztere betrifft: In der kuk-Monarchie haben Industrielle knapp vor Jahrhundertwechsel den Prager Erzbischof, Kardinal Schönborn, beauftragt, nach Rom zum Papst zu reisen und ihn um kirchliche Verurteilung des Wiener Bürgermeisters Lueger zu ersuchen. Dieser hätte nämlich die Seite der Arbeiter bezogen und gefordert, dass sie im Staate mitreden und bei Gesetzen, die die Arbeiterschaft betreffen, Sitz und Stimme haben müssen. Der Papst, es war Leo XIII, schickte den Kardinal unverrichteter Dinge nach Prag zurück. Die Industriellen nahmen diese Ablehnung nicht zur Kenntnis und schickten den Kardinal nochmals zum Papst, um eine Verurteilung Luegers zu erzwingen. Zu ihrem Schrecken hatte der Papst inzwischen die Enzyklika „Rerum Novarum" verfasst, in der er das forderte, was die Industriellen so vehement ablehnten. Lueger sandte er seinen ausdrücklichen päpstlichen Segen. Dass sich höchste Würdenträger der Kirche von Kapitalisten in deren Interesse und entgegen den Interessen der bekanntlich entrechteten und entwürdigten Arbeiter irgendwohin schicken lassen, zeugt nebenbei davon, wo sich wenigstens Teile der Kirche zu Hause fühlen: Dort, wo auch das Geld zu Hause ist.

Hat der Staat mit allen seinen Zwängen immer noch ein kleines Stückchen Individuum frei gelassen, so verliert dieses Individuum, sobald es Uniform trägt, jede Spur von Individualität. Die einfachen Soldaten, also die Menschen, die für reiche Industrielle bereits Gesundheit und Lebensglück geopfert haben, wurden jetzt in Uniformen gesteckt, die sie, wenn sie in der Textilindustrie gearbeitet haben, selbst erzeugt hatten, und mussten auf Befehl von Menschen, die aus höheren Rängen im Zivilleben in höhere Ränge beim Militär versetzt wurden, ihr Leben zu Markt tragen und auf Menschen schießen, denen es im Leben bisher genau so ergangen ist wie ihnen selber.

Zwei blutige verlustreiche Kriege ließen die Menschen darüber nachdenken, ob es nicht bessere Wege der Konfliktlösung gibt. Tatsächlich entstand eine Reihe von Organisationen, die zum Ziel hatten, eine friedliche Lösung für zwischenstaatliche Meinungsverschiedenheiten zu entwickeln. Die wichtigste war die, die das kommunistische Russland aus den vorgeschobenen Positionen, die es als Sieger im Krieg bezogen hatte, entfernen sollte. Ohne die Mitarbeit der Bevölkerung dieser Gebiete wäre dieses Unterfangen hoffnungslos gewesen. Und die Bevölkerung wollte nur eines: Ein demokratisch, republikanisches System.

Für Deutschland ist das abschreckende Beispiel die DDR, die Deutsche Demokratische Republik, deren Rückstand auf allen Gebieten gegenüber der Bundesrepublik Deutschland so eklatant war, dass die DDR-Bürger nur mit polizeilicher Gewalt daran gehindert werden konnten, ihr marxistisch/leninistisches Paradies zu verlassen.

Bei meinen Gesprächen in Wuppertal mit Arbeitern und Angestellten unseres Lackkonzerns habe ich das Denkmal, das die Stadt Wuppertal ihrem großen Sohn Friedrich Engels 1975 durch den bekannten österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka errichtet ließ, als Aufhänger benutzt und sie auch nach ihrer politischen Meinung gefragt. Ob sie sich vorstellen können, in einem kommunistischen Staat zu leben und zu arbeiten, in einem Staat, der laut eigener Definition von Arbeitern und Bauern regiert wird. Unisono hieß es: Nein, können sie sich nicht vorstellen. Denn dem Vernehmen nach sind die Arbeitsbedingungen sehr viel schlechter, die Arbeitssicherheit ist bei Weitem nicht so hoch wie im Westen, die Arbeitszufriedenheit ist nicht der Rede wert, dafür ist das Produkt weitaus schlechter als unseres im Westen. Und wenn man bedenkt, was sich so ein Facharbeiter im Osten verglichen mit seinem Kollegen im Westen mit einer Stunde Arbeit leisten kann, so zweifelt wohl niemand an der Überlegenheit des westlichen Systems.

Der heutige Stand ist also fixiert und wird daher auch nicht abgefragt.
Doch was, bitte, wird morgen sein? Die Zeiten können sehr schnell sehr schlecht werden. Der Lockdown im Rahmen der Bekämpfung des Corona-Virus zeigt, wie schnell sich die Bedingungen für Arbeitnehmer verschlechtern können: Die Arbeitslosenzahlen und die Zahl der Teilzeitarbeiter verdoppeln sich ebenfalls, die Bedingungen verschlechtern sich drastisch, home-offices verlangen volle Leistung zum halben Lohn, die Staaten machen Schulden, nehmen Kredite auf, die Rede ist von Fantastilliarden, die man in die Wirtschaft stecken will, und immer noch reicht es nur für Großbetriebe. Die mittleren und kleinen Unternehmen wissen nicht, wie sie weiter existieren sollen und haben bis jetzt von den zugesagten Hilfsgeldern nur wenig bis nichts bekommen.

Das wichtige österreichische Wochenmagazin „profil" schreibt in Ausgabe 16/2020 „Operetten-Polizeistaat – In Österreich ist neuerdings alles verboten, was nicht explizit erlaubt wurde. Um Seuchenbekämpfung geht es dabei nur am Rande.....Über die Lust am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren"

Ungarn, unser östlicher Nachbar, lange im Rahmen der kuk-Monarchie mit uns verbunden und von uns auch heute noch aus historischen Gründen gerne unterstützt, so wie beim Beitritt zur EU, hat sich still beinahe eine Art Diktatur zugelegt. Victor Orban, der Staatschef, ist alleiniger Herrscher und wir werden sehen, ob diese Art der undemokratischen Staatsführung auch für andere Staaten nachahmenswert ist. Der große Widerpart des Westens, Russland, hat mit Langzeit-Staatschef Putin längst schon ein ähnliches System in Kraft.

Bei der Bekämpfung der Viren ist Österreich unter den Ländern, die am schnellsten reagiert haben: Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren ist das Öffentliche Leben einschließlich des Geschäftslebens und der Schulen aller Art und Stufen, Kino, Theater, Versammlungen jeder Art stillgelegt worden. Als die Regierung gesehen hat, dass der Großteil der Bürger aus Vernunftgründen keine wesentlichen Einsprüche erhob, hat sie die Schrauben weiter angezogen. Die Leichtigkeit, mit der wir die im Normalfall erbittert verteidigten bürgerlichen Rechte aufgeben, erschreckt. Das Wochenmagazin NEWS schreibt in Heft 13/2020: „Sollen wir uns viele Grundrechte wirklich einfach so abknöpfen lassen, Coruna hin oder her?.... Besteht die Gefahr, dass wir uns an die jetzigen Einschränkungen zu sehr gewöhnen?"

Das schon erwähnte kleine Reclam-Büchlein schreibt: „in ihrem bereits 1848 (noch vor der Französischen Februar- und der deutschen März-Revolution) erschienenen Manifest entwickelten Marx und Engels das, was später als „Marxismus" so entscheidenden Einfluss nehmen sollte.
Hier erprobten sie in der Kritik des Kapitalismus ihr begriffliches Instrumentarium und setzten sich von anderen politischen Strömungen ab. In Zeiten der Globalisierung zeigt diese kleine Schrift AUCH HEUTE IHRE GERADEZU ERSCHRECKENDE AKTUALITÄT".

Und dies allein durch die Globalisierung. Wenn noch das Corona-Virus dazukommt und die Regierungen sich unter Berufung auf den Zwang, sich um die Volksgesundheit zu bemühen neue einengende und restriktive Regeln geben können, in ihrer eigenen Darstellung sogar
geben müssen, und die Industrie mit enormen Summen stützen – wie das ja auch in der Realität heute geschieht – und diese Summen wenigstens zum Teil als nicht rückzahlbare Kredite, also als Geldgeschenke, fließen, dann müssen wohl die Bürger Teile ihres Einkommens spenden, insbesondere die Pensionisten, die ja vom Wohlwollen des Staates abhängen.

Wenn da morgen geschickte Volkstribunen auftauchen, die Situation in entsprechend schwarzer Farbe ausmalen, die Zukunft noch düsterer darstellen als sie ohnehin schon ist, wer weiß, ob bei konsequenter Vermeidung des belasteten Begriffes „kommunistisch" und Betonung von „marxistisch" als eine Art von menschenfreundlichem Sozialismus nicht die einengenden Regeln weiter in Kraft bleiben und noch vertieft werden.

Wie gut sind unsere Normalbürger über Politik und Wirtschaft informiert oder gelten für sie ohnehin nur die Lebenshaltungskosten als Kriterium? Nehmen wir an, China setzt seine Potenz ganz gezielt ein, um unsere noch demokratischen Staaten, die sich aber im Überlebenskampf gegen die Auswirkungen der Globalisierung und des Corona-Virus befinden, zu destabilisieren, und dabei nicht auf positive Bilanzen und die Zufriedenheit seiner Menschen – ich vermeide hier bewusst den Begriff „Bürger"- angewiesen ist, uns aber das Ende dieser sich nach unten drehenden Schraube verspricht, wenn wir uns diesem marxistischen Riesenreich ergeben, wie lange, meinen Sie, würden wir dem Druck von Außen und Innen standhalten?

Womit die Frage aus dem Titel nach dem „Morgen" beantwortet sein könnte.

Der Autor

Peter Mitmasser

13.06.39, Wien, verh., 2 Kinder
1945 Flucht vor den Russen auf Umwegen ins Salzkammergut
Matura an der Handelsakademie,
bis 1972 Solvay-Werke Ebensee
1972  Leiter Einkauf Stolllack AG (und Nachfolgefirmen), Gemeinderat

1991 Übersiedlung nach Wr. Neudorf, nebenberufl. Studium Uni Wien, Dr. phil. Promotion 1983
"Österr. Einkäufer des Jahres 1991"
Beitrag "Handbuch Beschaffung", Hanser, 2003

Pension 2003
Mitarbeit in namhaftem Institut zur beruflichen Weiterbildung Erwachsener

Autor Prosa und Lyrik
5 Bücher, zahlreiche Beiträge in Anthologien und Literaturmagazinen, Lesungen, Einige Preise, u.a. 1. Platz im Schweizer Ü/70-Literaturbewerb

 

Veröffentlicht am 06.05.2020

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