Blog | Essaywettbewerb - Friedrich Engels

Monika Buschey - eingereicht am 22.5.2020

Karl und Friedrich

Es gibt nicht viele Freundschaften wie diese,
und ich darf sagen, dass ich an der segensreichen Verbindung maßgeblichen Anteil habe. Anfangs war mir Karl zugeteilt. Zu Friedrich wechselte ich wenig später. Es hieß zunächst, er trage einen Engel im Nachnamen, da brauche er mich nicht. Eine Fehleinschätzung. Einen Schutzengel braucht doch wohl ein jeder.

Von Anfang an hatte ich den Plan, Hindernissen zum Trotz diese beiden zusammen zu bringen, Karl und Friedrich. Ihre Herzen schlugen im gleichen Takt, ihrer höchst unterschiedlichen Konstitution zum Trotz, das ist mir sofort aufgefallen. Ihre Hirnwindungen wanden sich ähnlich. Derart verblüffende Übereinstimmungen sind selten unter Menschen, sehr selten. Zusammengeführt habe ich die beiden im enthusiastischen Alter zwischen zwanzig und dreißig. Ich musste nicht viel tun. Karl zog Friedrich an wie ein Magnet.

Als Kind war Friedrich eher verschlossen, verträumt könnte man sagen. Seine Seele weidete noch auf den satten Wiesen im Reich der Ideen. Dass in ihm nie dagewesene Gedanken schlummerten, bemerkte außer mir noch niemand. Entwürfe für die Zukunft, Ideen, die weit über sein physisches Sein wirksam sein würden. Vor allem dann, wenn das Ergänzende hinzukäme, wenn Karl und Friedrich die Feuer, die in ihnen loderten, zusammenbrächten. Hitze genug, die Welt zu entflammen.

An der Hand seines Vaters durchwanderte der Junge bereits im zarten Alter die lärmdurchtränkten Hallen, die für wenige Wohlstand und für viele ein hartes Leben bedeuteten. Friedrich Engels, der Ältere, hatte die Textilfabrik in Barmen von seinem Vater übernommen und gedachte, sie seinerseits seinem Ältesten weiterzugeben. In der Seele des Knaben, für mich allein sichtbar, befand sich – ich übersetze in ein allgemeinverständliches Bild – ein Plan wie ein vielfach gefaltetes Blatt Papier. Mehr als ein Plan, nicht weniger als ein Weltentwurf in mehreren Etappen. Mit jeder Entfaltungsphase käme mehr davon ans Licht. Es würde die Mitwelt aufrütteln wie er selbst von ihren Erscheinungen aufgerüttelt wurde. Die Nachwelt würde noch Jahrhunderte später seiner gedenken.
Während er schüchtern sich im Schatten des Vaters hielt, der ihm wortreich Abläufe und Arbeitsergebnisse erläuterte, richtete er den verträumten Blick auf die Menschen. Er blickte in die Gesichter der Gleichaltrigen und der wenig Älteren. Die Kinder, die an Webstühlen standen und Stoffballen schleppten, größer als sie selbst, wagten es ihrerseits nicht, den Blick zu erwidern. Oder wenn, dann nur flüchtig und mit dem Ausdruck des Erstaunens.

Der kleine Friedrich sprach kein Wort. Der Vater deutete das Schweigen als ein aufmerksames Lauschen und fuhr mit seinen Erläuterungen fort wie ein Reiseleiter, der Besuchern die Besonderheiten eines fremden Landes vor Augen führt. Plötzlich löste sich die Hand es Sohnes aus der seinen. Friedrich der Kleine sprang einem Jungen zur Hilfe, dem ein schwerer Korb, den er mit beiden dünnen Armen kaum umfassen konnte, zu entgleiten drohte.
Mit schnellem Schritt war der Vater an seiner Seite und zog ihn fort.
Was machst du denn, er zischte es zwischen den Zähnen hervor.

Des Abends vor dem Nachtgebet nahm der Vater seinen Ältesten beiseite. Es sei die gottgewollte Ordnung der Welt, erklärte er ihm streng, dennoch geduldig, dass es ein Oben gebe und ein Unten. Wohin du gestellt bist, dort musst du wirken. Und nicht danach streben, woanders zu stehen. Wer oben ist, hat reichen Gewinn, doch trägt er auch Verantwortung für seinesgleichen und für die da unten, die seinesgleichen nicht sind. Das Schicksal hält anderes bereit für sie, und auf einzelne aus ihrer Mitte kommt es nicht an. Die oben sind, dürfen Charakter ausbilden und eigenes Profil, nach Bildung streben und nach Gewinn. Der Reiche ist reich, weil Gott ihm die Gnade gewährt. Er hat sich würdig zu erweisen durch Gehorsam, Anstand und Pflichtgefühl. Das gilt für Frauen wie für Männer, auf jeweils anderem Gebiet. Kinder haben zu gehorchen.
Hast du verstanden? Der Vater beugte sich ein wenig zum Sohn hinunter.
Friedrich nickte stumm.
Ich will es hören!
Ja, lieber Vater. Ein Flüstern, das als Hauch über die Lippen kam.
Ein kalter Blick des Vaters, der unverrückbar vor ihm stand wie eine Säule, ließ den Knaben angstvoll erröten. Er holte Luft und wiederholte zitternd seinen Satz. Der Vater nickte gnädig.
Sprich dein Gebet und geh zu Bett!
Damit war er entlassen.

Die Szene war ihm später nicht erinnerlich, war eine nur von vielen gleicher Art. Und doch, eben in jener Nacht, die der Ermahnung folgte, entfaltete sich eine erste Idee aus seinem Innern aufsteigend. Mehr Wunsch als Wille, nebelhaft, mit schwachen Konturen und doch gegenwärtig. Zehn Jahre später, noch immer mehr Jüngling als Mann, fand er Worte:
„Es herrscht ein schreckliches Elend unter den niederen Klassen, besonders den Fabrikarbeitern im Wuppertal; syphilitische und Brustkrankheiten herrschen in einer Ausdehnung, die kaum zu glauben ist..."
Das Bild vom Knaben mit dem schweren Korb, dem er zur Hilfe gekommen war, lebte in Friedrich fort, dafür sorgte ich, ohne dass es ihm bewusst gewesen wäre.
„In Elberfeld allein werden von 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterrichte entzogen und wachsen in Fabriken auf, bloß damit der Fabrikdirektor nicht einem Erwachsenen, dessen Stelle sie vertreten, das Doppelte des Lohnes zu geben nötig hat, das er einem Kinde gibt..."
Ein Hieb gegen den Vater blieb nicht aus:
„Die reichen Fabrikanten aber haben ein weites Gewissen, und ein Kind mehr oder weniger verkommen zu lassen, bringt keine Pietistenseele in die Hölle, besonders wenn sie alle Sonntage zweimal in die Kirche gehen."
Wen nimmt es Wunder, dass der helle Geist des jungen Mannes sich abwandte von düsteren Kirchenräumen und vom falschen Glauben.

Gleichwohl ging es ihm darum, das Gewerbe der Väter vertiefend zu erlernen. Mein Schützling schied vom Vaterhaus. Er ging nach Bremen, in die Hansestadt. Sein Lehrherr handelte mit Leinwand, Kaffee und Tabak. Was ein Großhändler wissen musste, eignete sich Friedrich an im Handumdrehen.

In den Bremer Jahren begann sein eigentliches Leben. Er schrieb Artikel und Pamphlete, seine Stimme wurde gehört. Sein Bestreben war es, die Gesellschaftsordnung zugunsten der Benachteiligten zu verändern. Er wählte einen anderen Namen: Friedrich Oswald, auf dass er in seiner Rolle als Publizist nicht etwa mit dem Vater verwechselt würde. Der Weg zu Karl, dem ebenfalls Schreibenden, war damit gebahnt, die Brücke geschlagen. Und Friedrich half Karl auf die Sprünge, so wie ich ihm. Gestützt von mir war er der beste Auf-die-Sprünge-Helfer den es je gegeben hat.
„Eine Unze Praxis ist besser als eine Tonne Theorie", er sprach es aus und berichtete dem großen Theoretiker, wie es zuging in Fabriken und im Kontor, wie die Geldströme flossen und wohin, was Profit war und was profitabel.

Wie eine Naturgewalt war Karl über Friedrich hereingebrochen. Die Zeitspanne war kurz an jenem Frühlingstag, die Gelegenheit dagegen günstig. Ich lenkte meines Schützlings Gedanken, dann seine Schritte. Nur ein paar Stunden Aufenthalt, der Ort: Paris, die Stadt der großen Revolution. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Bürgerrechte und gesprengte Ketten. Dies alles schob ich wie bunte Prospekte an seinem inneren Auge vorbei. Gehört hatte Friedrich bereits in Deutschland von Karl Marx, wilde und erstaunliche Geschichten. Und eben hier, in Paris, lebte der Prophet des Neuen. Ort und Zeit also in wunderbarem Einklang. Dennoch zögerte mein Schützling. Er war ein scheuer Mensch, taktvoll und leise. Ganz anders als jener.
Ihn einfach besuchen? Karl Marx? Sich ihm vorstellen als Bruder im Geiste?
Er war schon auf dem Weg und kehrte wieder um. Ich hatte Mühe. Ich ließ ihn darüber grübeln, wie schade es wäre, die Gelegenheit zu verpassen. Dann gab ich seinem Herzen einen Stoß. Er blieb stehen, besann sich, kehrte um. Entschiedenheit im Blick und mit entschiedenen Schritten.


Sie reichten einander die Hände, Blick in Blick. Sie kannten sich aus abgelebten Zeiten lange schon. Nun also sahen sie sich wieder. An einem Schnittpunkt der Geschichte. Ein Gespräch am marmornen Kaffeehaustischchen kam sofort in Gang. Das Thema, sanft von mir lanciert: Gerechtigkeit. Sie scherzten auch, die Herren. Marx lud den Gast in seine Wohnung ein. Engels entspannte sich. Er blieb zehn Tage.
Von da an gab es kein Entrinnen mehr des einen vor dem anderen.

Der Zeugenschaft eines Engels ist sich der Mensch kaum je bewusst. Allenfalls in der Stunde seines Todes. Sonst nicht. Friedrich bot einem wie mir die denkbar beste Basis. Es war seine unschätzbare Fähigkeit, Vertrauen zu entwickeln, die ihn adelte. Vertrauen steht als Tugend über allem. Wem Vertrauen geschenkt wird, der wächst über sich hinaus. Und kann nur wachsen, weil es einen gibt, der ihm vertraut. Vertrauen lockt hervor, was sonst verborgen bliebe. Und der Schenkende empfängt das Glück, helfen zu können.


Mein Schützling vertraute sich selbst. Er vertraute Karl Marx. Er vertraute der Kraft der Worte. Er vertraute auf das Wirken des Weltgeistes. Der Weltgeist, ob so benannt oder nicht, war der dritte im Bund, wann immer Karl und Friedrich zusammentrafen. Und wenn sie das Wort nicht direkt aneinander richten konnten, von Mann zu Mann, weil sie sich an verschiedenen Orten aufhielten, dann schrieben sie einander lange Briefe. Ob schnell oder langsam: die Worte, die Sätze, die Gedanken, flogen hin und her wie Bälle in einem guten Match.

Ein Wegbegleiter und Mitspieler – der Leib lange begraben, die Worte lebendig wie sonst was – war Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Hegel hat sich in seinem Denken nichts Geringeres vorgenommen als die Entwicklung der Menschheit. Zwei Gegenbewegungen: These, Antithese. Daraus folgt die Synthese. Eine folgerichtige, vernünftige Entwicklung nach Gesetzen, die er in seinen Schriften ausführlich beschreibt.

Karl und Friedrich leuchtete das ein. Nur die göttliche Vernunft, die bei Hegel eine entscheidende Rolle spielt, behagte ihnen nicht. Die menschliche Vernunft müsse genügen, befanden die Freunde. Das Göttliche, meinte Karl, sei von den Religionsstiftern missbraucht worden, um die Gläubigen zu betrügen. Unter meinem Einfluss hat Friedrich sich in diesem Punkt zurückgehalten.

Kein größeres Vergnügen für meinen Schützling, als seinen Freund in Aktion zu erleben. Wenn er etwa über die Gründe für das Elend der Arbeiter sprach und wie dem zu begegnen sei. Seine Vorträge füllten Säle. Der rheinische Zungenschlag war nicht jedermanns Sache, auch die schrille Stimme nicht. Aber dann vollzog sich jedes Mal ein Wunder: Die Zuhörer, vom Flammenschwert seiner Worte berührt, ließen sich mitreißen. Er machte den Geknechteten klar, dass es keinen Grund gab, in der Knechtschaft auszuharren. Und dass jeder Mensch das Recht hat, auf seinen Rechten zu bestehen. Er sprach aus, was insgeheim in jedem lebte. Und sie jubelten ihm zu.

Mein Schützling lächelte dazu. Er war nicht eitel, nie. Er gönnte dem Freund den Beifall, ihn selbst hätte der Jubel verlegen gemacht. Umso mehr erfreute es ihn, wenn Karl auf Formulierungen zurückgriff, die er, Friedrich, ihm serviert hatte. Er servierte zuverlässig und oft.
Karl hatte eine Zeitung gegründet. Mit Leitartikeln versorgte ihn Friedrich. Später in London war es einfacher, den Artikel, um den Marx gebeten wurde, schnell für ihn zu schreiben, als sich sein Jammern anzuhören, er wisse nicht, wann er das noch schaffen solle. Er habe doch ohnehin so viel zu tun!

Der größte Coup gelang, als Karl mit dem Manifest so gut wie fertig war. Es fehlte noch der Einstieg. Es fehlte noch der letzte Satz.
Es muss ein Satz sein wie ein Angelhaken, der erste Satz, beschwor Friedrich seinen Freund, der statt zu antworten an seiner Zigarre zog. Ein Phantom geht um in Europa, wie wäre das? Oder nein, besser noch, ein Gespenst! Ein Gespenst geht um in Europa.

Karl schnaufte, zog abermals an der Zigarre und blies den Rauch in Engels Richtung.
Ein Gespenst, meinst du...
Karl lehnte sich zurück im Stuhl und fixierte den Freund durch den Rauch hindurch, der das Zimmer vernebelte.
Ja, sagte Friedrich, wer den Satz liest, der liest auch weiter. Der will doch wissen, was gemeint ist.
Ein Gespenst... murmelte Karl.
Und dann der Schluss, fuhr Friedrich fort, sprich deine Leser an, es braucht einen Appell! Vereint euch, Proletarier, auf in den Kampf! So in der Art.
Wir haben es hier, sagte Karl bedächtig, mein lieber Freund, nicht mit einer Oper zu tun. Er legte die Zigarre für einen Augenblick ab und schrieb es hin und las es leise vor:
Proletarier aller Länder vereinigt euch!
Friedrich war begeistert.

Geld. Immer wieder Geld. Friedrich besaß es, Karl brauchte es. Er hatte Hausstand und Familie, er musste immer wieder vor seinen Verfolgern fliehen und neu sich einrichten in einer anderen Stadt. Das kostete! Als die Revolution, schwungvoll begonnen, ans Scheitern kam, musste er froh sein, mit heiler Haut davon zu kommen. Freie Geister leben gefährlich zu allen Zeiten.

Friedrich half, wo er konnte. Karl musste ihn nicht lange bitten. Er sah doch selbst, was los war. Die schöne Frau, die schönen Töchter sich darbend vorzustellen, das brachte Friedrich nicht übers Herz. Ohnehin gehörte er nicht zu denen, die der Geiz gepackt hielt. Er gab, wo er Notwendigkeit zum Geben sah. Ich unterstützte ihn diskret.

Ein sehr spezielles Gemeinschaftswerk von Karl und Friedrich darf nicht unerwähnt bleiben. Es reifte im Bauch von Helene Demuth. Sie stand in Diensten bei Familie Marx, dem Hause sehr verbunden. Eine Perle an Treue und an Fleiß. Der Sohn, den sie gebar, war eines Mannes Kind, der nicht genannt sein durfte. Doch einer musste es ja wohl gewesen sein. Die Not war groß. Die beiden Männer, Friederich und Karl, sahen sich an, ein Blick über den Tisch hinweg, ein tiefes Atemholen beiderseits. Dann nickte Friedrich still ergeben und gab der Familie zu erkennen, dass er der Vater war.
Karl seufzte tief.
Helene hatte gut verstanden und gab dem Sohn den Namen Frederick.

Friedrichs Vermögen mehrte sich, so viel er auch verschenkte. Mit anderem Hintergrund als die Väter, aber doch tapfer in deren Fußstapfen bewegte er sich als Fabrikherr und als Geldverdiener. Die Arbeiter grüßten ihn und zogen die Mütze, wenn er durch die Hallen schritt. Und immer dachte er, dass e r den Hut vor ihnen ziehen sollte. Mit diesem Zwiespalt im Herzen war es ihm eine Genugtuung, den zu unterstützen, der dabei war, der Welt eine bessere Ordnung zu geben.

Sie war ihm Fron, die Zeit in Manchester, nicht minder als seinen Arbeitern, wenngleich in anderer Position. Damit war Schluss, als Friedrich im fünfzigsten Lebensjahr stand.
„Ich bin ein freier Mann!"
Er schrieb es seinem Freund Karl Marx nach London. Karls Tochter Eleanor besuchte ihn in jener Zeit und sie berichtete:
„Ich werde niemals das triumphale ‚Zum letzten Mal' vergessen, das er ausrief, als er seine Röhrenstiefel anzog, um zum letzten Male seinen Weg zum Geschäft zu nehmen. Er lachte mit dem ganzen Gesicht."

Friedrich brach nach London auf, wohin auch sonst, ein freier Mann.
Ein freier Mann, der mit langem Bart sein Gesicht verhängte, soweit hatte er sich dem Freund schon angeglichen. Begonnen mit Schnauzbart, dann Backenbart und schließlich ein Vollbart, schwarz und schwer.
Man konnte sich nun täglich sehen, Karl und er, und wenn man wollte, an der Zukunft basteln.
Das Kapital, er hätte es nicht schreiben können ohne Friedrich. Mein Schützling ordnete die tausend Zettel, die jener bekritzelt hatte, er ordnete die Gedanken die Karl mit ihm besprach und die er anreicherte mit Eigenem. Das fertige Buch war unbedingt ein gemeinsames Kind.

Für die bürgerliche Ehe hatte Friedrich nichts übrig. Er sah daran Ausbeutung und Abhängigkeit. Die Töchter aus gutem Hause konnten ihm gestohlen bleiben. Verliebte er sich, dann grundsätzlich im Sinne des Klassenkampfs. In Manchester fiel seine Wahl auf zwei patriotische irische Proletarierinnen. Zwei Schwestern, Mary und Lizzie. Mit Lesen und Schreiben kannten sie sich nicht gut aus, aber sie waren gescheit und schlagfertig. Katholisch obendrein.
Die beiden Welten, die sein Leben bestimmten, hielt Friedrich sorgfältig getrennt. Er unterhielt ein repräsentatives Haus, um Familienmitglieder und Geschäftspartner zu empfangen. Und im anderen Teil der Stadt eine Wohnung für Mary und Lizzie, wobei Mary gelegentlich an seiner Seite als Mrs Engels auftrat. Überraschend starb sie im Alter von einundvierzig Jahren. Und auch Lizzie musste er zu Grabe tragen. Sie lag bereits im Sterben, als sie ihn inständig bat, sie zu heiraten. Für eine Katholikin eine schwere Sünde, mit einem Mann gelebt zu haben ohne Trauung. Vor den Schöpfer zu treten und den Segen der Kirche nicht empfangen zu haben, diese Vorstellung war ihr eine Qual. Friedrich lenkte ein. Er sah sofort, dass ihre Not viel größer war als seine Prinzipien. Er schickte nach dem Priester. Und so geschah es: Hochzeit und letzte Ölung in einem.

Ein sanfter Radikaler war Friedrich. Und eben darum bleibt seine Haltung beispielhaft und setzt sich fort und wirkt weiter auch ohne mit seinem Namen in Verbindung zu stehen. Er war geschmeidig, was ihm Vorwürfe eintrug: Ein Kapitalist wie er im Buche steht, zugleich ein führender Kopf der Arbeiterbewegung, wie geht das zusammen? Seine Antwort: Er handelte und ließ sein Kapital im Sinne der Gerechtigkeit wirken. Das war seine Form von Konsequenz. Eine ehrliche Haut. Ein klarer Verstand.
Sein Herz war von Gold. Wie seine Taschenuhr.

 

Die Autorin

Monika Buschey

 

Veröffentlicht am 20.05.2020

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